Predigt vom 20.9.2015

Predigt vom 20.9.2015 Liebe Gemeinde! Was für eine Geschichte, die uns Johannes da erzählt. Jesus erweckt Lazarus von den Toten. Nach vier Tagen! Unvorstellbar. Nichts, aber auch gar nichts ähnliches haben wir jemals davon in unserem Leben erlebt. Wir erleben, dass unsere Abschiede, die wir von den Menschen nehmen, die sterben, endgültig und unwiderruflich sind. Uns bleibt das Vertrauen, dass sie nun bei Gott sind, dessen Liebe stärker ist als der Tod und die über den Tod hinaus Bestand hat. Hier aber wird eine andere Geschichte erzählt. Der Verstorbene tritt keine Himmelsreise in ein jenseitiges Reich Gottes an, sondern er kehrt zu den Menschen zurück, die auf der Erde leben. Nirgends wird berichtet, dass ihm nun ewiges irdisches Leben geschenkt worden sei, nein, er wird zu einem späteren Zeitpunkt von seiner Familie und seinen Freunden Abschied nehmen müssen wie jeder andere Mensch auch. Aber jetzt, hier hat er neues Leben geschenkt bekommen. Leben, was ist das überhaupt? Woran merke ich, dass ich lebe? Stellen Sie sich vor, wir würden diese Frage mal auf der Straße stellen, vielleicht in der Kröpi am Sonnabendvormittag: Woran merken Sie, dass Sie leben? Als Antworten würden – je nach Alter – wahrscheinlich kommen: – weil ich gesund bin, – weil ich mir eben ein neues Smartphone gekauft habe – weil ich heute Abend mit Freunden Party mache- vielleicht auch: weil ich ein schönes Zuhause habe und eine Familie – weil ich Arbeit habe oder ein Studium, das mir viel Spaß macht. Aber reicht das? Vielleicht wäre einer dabei am Sonnabendvormittag in der Kröpi, der sagt: Ich merke, dass ich lebe, wenn ich anderen helfen kann und wenn ich eine Aufgabe habe, die sinnvoll ist und Menschen nutzt. Ein Leben für andere. Ich ziehe den Hut vor den vielen Menschen hier in Rostock, die nicht darauf gewartet haben, dass sich die Stadt endlich mal bewegt, sondern die angesichts der vielen hunderten Flüchtlinge, die auf der Durchreise nach Norden sind, einfach angefangen haben zu helfen. Ich bin ja ein totaler Gegner von Facebook und Co, aber in solchen Fällen haben sich die sozialen Netzwerke als segensreich erwiesen. Hilfe ließ sich schnell und unbürokratisch organisieren. Ein Leben für andere – ich weiß nicht, ob die vielen freiwilligen Helfer das so formulieren würden. Viele packen jetzt mit an, weil jetzt die Not groß ist und erfreuen sich morgen oder nächste Woche wieder an Party und neuem Smartphone. Und das ist ja auch ok. Wenn man ausschließlich ein Leben für andere führt, kommt die eigene Person zu kurz, dabei ist sie doch auch wichtig. Wichtig ist, für sich selber zu sorgen, damit man auch für andere sorgen kann. Aber es gibt nicht nur das Leben FÜR andere, es gibt auch das Leben GEGEN andere. Krieg ist ein Leben gegen andere, der Tod anderer Menschen wird nicht nur in Kauf genommen und dann beschönigend als Kollateralschaden bezeichnet, sondern er wird auch bewusst und gezielt geplant und herbeigeführt. Terroranschläge, Selbstmordattentäter, die zig Menschen mit in den Tod reißen. Schleuser, die nur vorgeben, Menschen in Not helfen zu wollen und sie irgendwo auf dem Meer oder auf der Straße ihrem Schicksal überlassen und sich selbst in Sicherheit bringen. Aber wir brauchen gar nicht so weit zu schauen. Dieses Leben GEGEN andere finden wir in fast jedem Klassenzimmer, wenn Mitschüler gemobbt werden, wir finden es in Familien, wo sich die Eltern nicht um eine ausreichende und ausgewogene Ernährung ihrer Kinder kümmern. Wir finden es in Altersheimen, wo eine vernünftige und liebevolle Zuwendung oft an zu wenig Personal scheitert und damit letztlich am Geld. Und zwar nicht am Gled, das nicht da wäre, denn Deutschland ist nach wie vor ein reiches Land, sondern an dem Geld, das dafür nicht eingesetzt wird, sondern woanders für. Und natürlich finden wir dieses Leben gegen andere auf der Straße, wo die ungeschriebenen Gesetze, nämlich bei Prügeleien aufzuhören, wenn einer am Boden liegt, längst aufgehoben sind. Es gibt Gewalt, die sich ganz gezielt gegen Menschen richtet, Menschen, die anders aussehen, die anders reden, die anders sind, die anders denken. Das sehen wir bei fast jedem Hansa – Spiel. Diejenigen, die Opfer solcher Angriffe werden, leiden oft lange darunter, manche körperlich, die meisten aber vor allem psychisch. Das Leben kann zur Qual werden, ein Mitschüler kann zur Qual werden, die eigenen Eltern können zur Qual werden ein zufällig über den Weg laufender jugendlicher Gewalttäter kann ein ganzesLeben zur Qual machen. Ein solches Leben ist gar kein Leben mehr, es ist eigentlich schon der Tod, deshalb spricht man auch von Höllenqualen. Auch Lazarus litt solche Höllenqualen. Wir erfahren, dass er sehr krank war, wahrscheinlich schon sehr lange. Dieses Leiden hat ihm offensichtlich auch den Mut zum Leben genommen. Immer wieder erzählen alte oder sehr kranke Menschen davon, dass sie nicht mehr leben wollen. Politiker reden über Sterbehilfe und sind sich relativ einig, dass die Gesellschaft alles tun muss, um das Leben lebenswert zu gestalten bis zu seinem Ende. Aber das Reden ist das eine und das Umsetzen in die Realität ist das andere. Lazarus in unserer Geschichte liegt im Grab. Gräber in Israel, das wissen wir aus der Ostergeschichte, sind Höhlen, die mit einem Stein verschlossen wurden. Ich möchte dieses Bild vom Grab mit dem Stein davor als ein Symbol sehen, ein Symbol für den Rückzug. Was wird aus einem Menschen, wenn er keine Perspektiven mehr sieht – schon gar nicht über seinen Tod hinaus, wenn das ganze Leben ihm wie eine von einem dicken Stein verschlossene Höhle – erscheint: • Dem Arbeitslosen, der keine Arbeit findet; • dem alten Menschen, dem die Rente nicht zum Leben reicht, obgleich er immer gearbeitet hat; • die Eltern, die kaum Zeit für ihre Kinder finden und die sich selbst oft Vorwürfe machen, ohne die Möglichkeit zu sehen oder zu haben, aus eigener Kraft ihre Situation zu verändern; • den Familienangehörigen, die sich für eine Langzeitpflege aufopfern, zeitlich aber eben auch finanziell große Lasten tragen müssen; • dem Mutlosen, der keine Hoffnung mehr hat; • dem Schüler, der sich unverstanden fühlt • Oder dem Menschen der unverschuldet Opfer einer schrecklichen Gewalttat geworden ist? In der Bibel steht drastisch: Lazarus liegt da schon vier Tage, er stinkt schon. Das können wir uns vorstellen, auch wenn wir im Symbol bleiben. Jemand, der vom Leben abgeschnitten ist oder sich selbst abschneidet, der lebt in seinem eigenen Mief, wenn der Austausch fehlt, das Lüften sozusagen. Jesus tut etwas ganz unspektakuläres und doch etwas ganz wichtiges. Er ruft: Komm heraus Lazarus! Er ruft ihn aus seiner Höhle. Jesus geht nicht hinein und trägt ihn heraus, sondern er ruft ihn. Er ruft: bleib nicht eingewickelt in deine Leichentücher, Lass dich nicht einschüchtern, lass dich nicht unterkriegen, nimm dein Leben in die Hand, lebe. Jesus ruft, den ersten Schritt jedoch muss Lazarus selber tun. Natürlich kann der Glaube an Gott keine Krankheit aufheben oder finanzielle Belastungen beseitigen, aber er kann helfen, das weiß ich aus eigener Erfahrung und das erzählen mir oft die Senioren unserer Gemeinde: Der Glaube kann helfen, das Leben in all seinen Höhen und Tiefen, den Herausforderungen, den Schmerzen lebbar und sinnhaft zu machen. Unser Glaube hilft uns jetzt zu leben, wirklich zu leben, er hilft uns, hinter allem Leid, aller Vergänglichkeit, ja sogar hinter dem Tod, noch mehr zu erwarten als den Tod. Und eben das meint Jesus, wenn er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer mich annimmt, wird leben, auch wenn er stirbt…“ Amen Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der halte unseren Verstand wach und unsere Hoffnung groß und stärke unsere Liebe. Amen