Plötzlich stehen da die Holzmenschen

Sie sehen harmlos aus und wirken doch wie eine Provokation: die Holzmenschen, die der Künstler Stephan Guber in der Seemannskirche Prerow ausstellt.

Pastor Reinhard Witte mit Besuchern aus Holz
Pastor Reinhard Witte mit Besuchern aus HolzSybille Marx

Prerow. „Ausstellung“, das klingt ein bisschen nach Museum, nach steifen Vitrinen und weißen Gängen nur für die Kunst. Doch was Stephan Guber seit Pfingsten in der Seemannskirche Prerow macht, geht in eine andere Richtung: Mannshohe Holzmenschen hat der Bildhauer aus Nidda in Hessen hier postiert, vier von ihnen dicht vor dem Altar, einige am Eingang, andere mitten in den Kirchenbänken – wie Besucher, die immer schon da sind und auf irgendetwas zu warten scheinen.
Aus Sicht von Reinhard Witte, Pastor der Kirchengemeinde Prerow, ist das ein spannendes Experiment. Ausstellungen gehören seit Jahrzehnten zur Seemannskirche, sagt er. Doch seit den letzten Jahren hätten sich die Projekte verändert. Nicht mehr nur Bilder von Kunstfotos bis Malerei an der Westwand der Kirche präsentiert die Gemeinde ihren Besuchern heute, sondern in der Hauptausstellung in der Sommerzeit eben auch Skulpturen – Kunst, die mitten im Raum steht und in den Raum greift.

Pastor zunächst skeptisch

„Es ist eine besondere Herausforderung für die Künstler, nun nicht einen abgetrennten Raum im Kirchenschiff zu bekommen, sondern den gesamten Kirchenraum im Blick zu haben“, erklärt Reinhard Witte. Denn mit ihren Kunstgegenständen müssten sie ihn so bereichern, „dass der Innenraum als sakraler Raum, wenn auch ungewohnt und zunächst befremdend, sogar verstärkt wahrgenommen werden kann.“ Für Stephan Guber keine ganz neue Aufgabe. „Ich habe einen Teil dieses Figurenensembles schon in zwei Kirchen, in einer Schule und einem Industriebau gezeigt“, erzählt der 50-Jährige. Aber natürlich stelle sich in einem sakralen Raum immer ganz besonders die Frage, was die Figuren dürften. „Als ich Herrn Witte am Telefon erzählt habe, was ich vorhabe, war er noch etwas zurückhaltend“, erzählt Guber schmunzelnd. Mannshohe Figuren, die dicht vor dem Altar stehen und auch während der Predigt und dem Abendmahl nicht zur Seite weichen?!

Alltagsmensch als Kunstobjekt

Als zu Ostern probeweise die ersten standen, sei Witte aber begeistert gewesen. Es sei eben auch ein verblüffender Effekt, wenn diese Figuren, die zum Teil einen begegnenden Blick hätten, plötzlich neben einem stünden, meint Guber. Das stelle alte Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten in Frage. Und werfe die Frage nach der Aufgabe von religiöser Kunst auf. Kurz gesagt: Skulpturen und Wandmalereien in Kirchen drehten sich jahrhundertelang vor allem um Jesus und Maria, um Heilige und Höllenhunde, um Sünde und Sanktionen.
Stephan Guber dagegen rückt den ganz normalen Gläubigen oder Nicht-Gläubigen mit Jeans und Pulli in den Fokus, den Alltagsmenschen, der hier erst noch seinen Platz finden muss. „Ecce homo 3.0“ nennt der Künstler seine Figurengruppe. „Ecce homo, sieh, dieser Mensch“, sagte laut Johannesevangelium der römische Statthalter Pontius Pilatus, als der gefangene Jesus vor der Menge stand. Was sollen wir mit ihm machen, fragte Pilatus die Schaulustigen. Kreuzigt ihn, riefen einige. Und wo in dieser Menge hätten wohl wir gestanden, wir Alltagsmenschen 3.0, könnte man sich angesichts des Titels fragen. In Zeiten der Flüchtlingskrise, hat Stephan Guber beobachtet, rufen seine Figuren aber auch noch ganz andere Assoziationen hervor: „Dieses Gefühl, ja, genauso ist es: Da sind plötzlich Menschen, mit denen wir uns auseinander setzen müssen.“ Und die nicht einfach wieder gehen.
Info
Die Ausstellung ist bis zum 4. September in der Seemannskirche in Prerow zu sehen.