Plötzlich ist der andere weg

Der Laboratoriumsassistent Marcus Ventker wurde kurzfristig auf den Versorger „Berlin“ berufen. Dort machte er bei der Mannschaft Corona-Tests.

Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ ist noch bis September in der Ägäis im Einsatz
Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ ist noch bis September in der Ägäis im EinsatzPrivat

Marcus Ventker ist Stabsbootsmann bei der Bundesmarine und von Beruf medizinisch-technischer Laboratoriumsassistent. Anfang April wurde er kurzfristig auf den Einsatzgruppenversorger (EGV) „Berlin“ beordert, der in der Ägäis zum Einsatz kommen sollte. Seine Aufgabe war es vor dem Auslaufen des Schiffs Corana-Tests bei der Mannschaft durchzuführen, um Infektionen auszuschließen. Militärpfarrer Gerson Seiß sprach mit Ventker und seiner Frau Alexandra über den Einsatz und die besonderen Belastungen, die das – auch für die Familie – mit sich bringt.

Herr Ventker, Anfang April wurden Sie mit einer sehr kurzen Vorlaufzeit von lediglich 21 Stunden auf den EGV „Berlin“ mit Ziel Ägäis beordert. Welchen Auftrag hatten Sie an Bord?
Markus Ventker: Ich sollte die Besatzung der Berlin auf Covid-19 untersuchen. Hintergrund war, dass das Schiff zeitnah ins Einsatzgebiet verlegen sollte und sichergestellt werden musste, dass niemand an Bord mit dem Virus infiziert war.

So kurzfristig in einen Einsatz zu gehen bedeutet eine gewisse Herausforderung – auch für die Familie. Reichte die Zeit für die innere und äußere Vorbereitung, Frau Ventker?
Alexandra Ventker: Nein, definitiv nicht! 21 Stunden sind zu kurz, um irgendetwas vorzubereiten. Erstmal muss man mit dem Schock klarkommen, dass der Partner auf einmal die Familie verlassen wird. Es war kurz vor Ostern. Das ganze Umfeld war durch die Corona-Maßnahmen durcheinander, das war an sich schon verunsichernd genug. Da reichen 21 Stunden einfach nicht aus. Man möchte so vieles austauschen, man möchte verstehen, warum alles so schnell gehen muss, man möchte Dinge absprechen, die im häuslichen Bereich begonnen wurden, man möchte wissen, wie der Partner zu den Abiturprüfungen des großen Sohnes steht und zur Betreuung des kleinen Sohnes. Man ist sich bewusst, für eine lange Zeit alle Entscheidungen allein treffen zu müssen. Man möchte wissen, wie die Gartenpumpe eingeschaltet und die Heizung ausgeschaltet wird. Dafür braucht man eigentlich seinen Partner.

Alexandra und Marcus Ventker Foto: Privat
Alexandra und Marcus Ventker Foto: Privat

Die „Berlin“ ist ein Einsatzgruppenversorger. Wie lassen sich die besonderen Aufgaben und Fähigkeiten des Schiffs beschreiben, Herr Ventker?
Markus Ventker: Ein Einsatzgruppenversorger kann große Mengen an Wasser, Treibstoff, Proviant und anderes mehr vorhalten und versorgt – wie der Name schon sagt – andere seegehende Einheiten mit allen nötigen Verbrauchsgütern, um eine entsprechende Durchhaltefähigkeit zu gewährleisten. Außerdem haben die EGVs noch das „MERZ“ an Bord, ein mobiles Einsatzrettungszentrum in Containerform, im Prinzip also ein kleines Krankenhaus, das auch an Land abgesetzt und betrieben werden könnte.

Die meisten Menschen wissen kaum, wie sich das Leben an Bord eines Marineschiffs im Einsatz gestaltet. Schildern Sie doch mal einen normalen Tagesablauf.
Ein Tagesablauf an Bord gestaltet sich grundsätzlich nicht wesentlich anders als an Land, nur dass man eben kein Land sieht. Nach Wecken und Frühstück findet die Morgenmusterung statt. Dazu treten die einzelnen Hauptabschnitte an und werden für die anliegenden Arbeiten eingeteilt. Nach der Mittagspause folgt die Mittagsmusterung. Nachmittags wird grundsätzlich Reinschiff gemacht. Feierabend an sich gibt es auf einem Schiff nicht, aber man kann in die Messe gehen, in den Sportraum oder zum Laufen auf das Oberdeck.

Sie sind im Laufe Ihres Berufslebens nicht zum ersten Mal an Bord eines Marineschiffes im Einsatz gewesen. Haben Sie jetzt in der Zeit der Corona-Pandemie bei der Besatzung eine anders gelagerte Stimmung oder eine höhere Belastung wahrgenommen als das sonst der Fall ist?
Ja, aber das ist Klagen auf ­hohem Niveau. Man durfte in den ersten beiden Wochen, bis auch die zweite Testreihe ausgewertet war, den Sportraum und die Sauna nicht benutzen und musste ständig, von früh bis spät, die Schutzmaske tragen. Die eigentlichen Belastungen kommen mit der Dauer der Zeit. Die „Berlin“ soll bis Ende September im Einsatzgebiet verbleiben. Sollte Landgang dabei generell nicht möglich sein, wird die Belastung für die Besatzung sicher ansteigen. Ein EGV ist schon ein großes Schiff, aber bei 200 Besatzungsmitgliedern auf doch engem Raum, werden Reibereien vermutlich nicht ganz ausbleiben.

Auswertung eines Coronatests
am Computer Foto: Privat
Auswertung eines Coronatestsam Computer Foto: Privat

An Bord der „Berlin“ war auch ein Militärgeistlicher präsent. Können Sie skizzieren, was Kameradinnen und Kameraden an Bord von der Miltärseelsorge erwarten oder erhoffen?
Ich denke, es gibt wenig besondere Erwartungen an die Militärseelsorge. So eine Besatzung spiegelt ja den Querschnitt der deutschen Bevölkerung wider. Es sind natürlich Soldaten an Bord, die auch zu Hause in die Kirche gehen und der Kirche verbunden sind. Sie erwarten den wöchentlichen Gottesdienst, der auch stattgefunden hat, bei schönem Wetter auf dem Flugdeck, sonst im Hangar. Für die meisten Soldaten aber – so nehme ich es wahr – spielt der Militärpfarrer im Routinebetrieb keine große Rolle. Er wird dann wichtig, wenn es zu Krisensituationen kommt oder wenn einzelne Kameraden seelischen Beistand brauchen, eben weil Familie und Freunde an Bord nicht verfügbar sind.

Frau Ventker, unter Soldaten ist mitunter zu hören, dass die Belastung der Familie zu Hause zumindest nicht geringer sei als die Belastung der Soldaten im Einsatz. Wie haben Sie die Zeit der Abwesenheit Ihres Mannes erlebt?
Alexandra Ventker: Zu der Tatsache, dass man den anderen vermisst und unsicher ist, kommt noch hinzu, dass man auf sich allein gestellt ist – gerade jetzt in Corona-Zeiten. Es war ja letztlich niemand da. Ich war nicht nur Mutter, sondern auch Vaterersatz, den man natürlich nicht wirklich ersetzen kann. Gerade die Kinder haben ihn sehr vermisst – die Kurzfristigkeit hat besonders unseren 7-Jährigen ziemlich umgehauen. „Warum muss Papa weg? Warum ist er Ostern nicht da? Wann kommt er wieder?“ Das musste ich als Mutter zusätzlich auffangen, obwohl ich selbst grenzwertig belastet gewesen bin. Es fehlt einfach der Partner. 24/7 bekommt in solcher Zeit eine andere Bedeutung.

Wenn Sie im Sinn der Vereinbarkeit von Dienst und Familie einen Wunsch an die Führung frei hätten: Was läge Ihnen am Herzen, Frau Ventker?
Bessere Kommunikationsmöglichkeiten. Gerade bei Soldaten an Bord ist es häufig so, dass man tagelang nichts von ihnen hört und sich nicht austauschen kann, weder über E-Mail, noch per Telefon. Wenn das Schiff nicht nah genug an einer Küste ist, gibt es oft keine Verbindung.

Herzlichen Dank Ihnen beiden für den Einblick, den Sie den Leserinnen und Lesern der Evangelischen Zeitung gegeben haben. Bleiben Sie gesund!

Unser Autor
Pfarrer Gerson Seiß ist Leiter des Militärpfarramts Heide.