Pilgern auf dem Jakobsweg ist so beliebt wie noch nie

Nach den Corona-Jahren gibt es Nachholbedarf. Um Längen schlugen die Pilgerzahlen 2022 die des bisherigen Rekordjahres. Und auch beim Geschlechterverhältnis tut sich was.

Aus Bayern nach Santiago de Compostela: Dieses Schild in Bad Wörrishofen weist den Weg
Aus Bayern nach Santiago de Compostela: Dieses Schild in Bad Wörrishofen weist den WegImago / MiS

Der Pilgerzulauf auf dem Jakobsweg ist erneut in eine nie zuvor erreichte Höhe geschnellt. Laut den vom Pilgerbüro im nordspanischen Santiago de Compostela veröffentlichten Zahlen ist 2022 wieder ein neues Rekordjahr: 438.323 Pilgerinnen und Pilger erhielten die „Compostela-Urkunde“. Voraussetzung dafür ist, dass die Stempel im Pilgerausweis keinen Zweifel daran ließen, dass sie die letzten 100 Kilometer bis Santiago zu Fuß oder die finalen 200 Kilometer mit dem Rad zurückgelegt haben. Im bisherigen Rekordjahr 2019 waren etwa 347.000 Menschen gepilgert.

Die Statistik führen, wie immer, die Spanier selbst an. Erstaunlich war diesmal der Zustrom an US-Amerikanern (exakt 26.000), die sogar die Deutschen (23.212) übertrafen. Auch die Franzosen, Portugiesen und Italiener sind in der Spitzengruppe vertreten. Eine Überraschung: Mit einem leichten Überhang begaben sich mehr Frauen als Männer auf Pilgerschaft.

Welcher Pilgerweg am gefragtesten war

Alle Wege führen zwar nach Santiago de Compostela – doch der ungebrochene Klassiker war auch im vergangenen Jahr der „Französische Weg“ von den Pyrenäen durch das Inland Nordspaniens. Im Aufwind begriffen sind der „Portugiesische Weg“ und der „Küstenweg“ durch den Norden Spaniens.

Die Erklärungen für den neuen Pilgerrekord sind vielschichtig: Pilgern als Selbstfindung und Lebensgefühl, als persönliche Auszeit, als Treff mit Gleichgesinnten ist in Mode und hat für viele nicht mehr unbedingt etwas mit dem christlichen Glauben zu tun. Für andere hingegen stehen unverändert religiöse Motive obenan – und auch da gab es durch die Corona-Hindernisse der vergangenen Jahre offenbar einen großen Nachholbedarf.

Woher der Jakobsweg seinen Namen hat

Der Apostel Jakobus der Ältere ist seit mehr als 1.000 Jahren Schutzpatron des christlichen Spaniens. Jakobus gehörte laut biblischer Überlieferung zum engsten Kreis um Jesus Christus und wird in ganz Europa verehrt: auf Deutsch als heiliger Jakob, auf Französisch Saint-Jacques, Englisch Saint James, Italienisch San Giacomo, Spanisch Santiago, San Jaime, San Jacobo oder San Diego. Sein kirchlicher Festtag ist der 25. Juli.

Als erster Märtyrer aus dem Kreis der Apostel wurde Jakobus um 44 unter Herodes Agrippa im Heiligen Land hingerichtet. Dass er jedoch als Prediger in Spanien missioniert hätte, berichten erst schriftliche Quellen ab dem siebten Jahrhundert. Sein angebliches Grab wurde im ersten Drittel des neunten Jahrhunderts im Kern der heutigen Stadt Santiago de Compostela entdeckt. Der „Fund“ machte das sich rasch entwickelnde Santiago neben Jerusalem (Grab Christi) und Rom (Grab des Petrus und Paulus) in den folgenden Jahrhunderten zum wichtigsten Wallfahrtszentrum der Christenheit.

Pilgern war in den vergangenen beiden Jahren oft nur mit Maske möglich – wie bei dieser Gruppe in Santiago im März 2020
Pilgern war in den vergangenen beiden Jahren oft nur mit Maske möglich – wie bei dieser Gruppe in Santiago im März 2020Imago / Agencia EFE

Die bildliche Darstellung des Jakobus spiegelt eine gewisse Wandlung in seiner Verehrung wider. Während die ältesten Darstellungen ihn als Apostel, später vor allem als Pilger zeigten, wurde er verstärkt seit der „Reconquista“ des 12. Jahrhunderts auch als Kreuzritter und Maurentöter im Kampf gegen die Araber dargestellt.

Mit der Reformation und den Religionskriegen im „Durchzugsland“ Frankreich versiegte der Pilgerstrom in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 1589, als Sir Francis Drake, Sieger über die Spanische Armada, Santiago belagerte, wurden die Reliquien in Sicherheit gebracht und blieben für fast drei Jahrhunderte verschwunden. Nach der Pilgerfahrt von Papst Johannes Paul II. 1982 und einer Europarats-Initiative zur Wiederbelebung der Jakobswege im Oktober 1987 hat eine regelrechte Renaissance der Jakobsverehrung eingesetzt – mit ganz erstaunlichen Wachstumsraten.

Heiliges Jahr verlängert

Und: Wegen der Corona-Pandemie hatte Papst Franziskus das „Heilige Jakobusjahr“ 2021 auf 2022 verlängert. Diese Heiligen Jahre fußen auf einem päpstlichen Privileg aus dem 12. Jahrhundert; sie stehen immer dann an, wenn der Jakobustag, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt. Das bedeutete konkret: Wallfahrer durften die Kathedrale auch 2022 durch die ansonsten geschlossene Heilige Pforte betreten. Bei der Vermauerung am Silvestertag sagte Santiagos Erzbischof Julian Barrio Barrio: „Die Heilige Pforte als Symbol ist verschlossen; doch die Tür für das, was Christus ist – der Weg, die Wahrheit und das Leben – steht immer offen.“ Und die Pforte dann wieder 2027 – im nächsten Heiligen Jakobusjahr.