Pastor verlässt Gemeinde nach umstrittenem Holocaust-Text

Die millionenfachen Morde der Nazis hat Pastor Christian Diederichs aus Alfeld bei Hildesheim relativiert. Jetzt verlässt er die Gemeinde. Seine Meinung sorgt nicht das erste Mal für Unruhe.

Pastor Christian Diederichs
Pastor Christian DiederichsMarco Althaus / Alfelder Zeitung

Alfeld/Kr. Hildesheim. Nach umstrittenen Äußerungen zum Holocaust in einem unveröffentlichten Zeitungsbeitrag verlässt der evangelische Pastor Christian Diederichs (56) aus Alfeld bei Hildesheim seine Kirchengemeinde. „Pastor Diederichs relativiert in diesem Text die Singularität des Holocausts mit dem Verweis auf etliche andere Völkermorde und die dezidierte Auflistung der Zahl der Ermordeten in anderen Ländern und unter totalitären Regimen“, sagte die Alfelder Superintendentin Katharina Henking als seine Vorgesetzte. Sie nannte den Text „unerträglich“. Das Landeskirchenamt hat eine dienstrechtliche Prüfung eingeleitet.

Der Pastor hatte sich in einen Andachtstext für die „Alfelder Zeitung“ und die „Leine-Deister-Zeitung“ entsprechend geäußert. Die Zeitungen hatten nach Rücksprache mit den Vorgesetzten des Pastors den Text nicht veröffentlicht, aber über den Fall jetzt berichtet. Diederichs wird am 27. September nach 18 Jahren in der Alfelder Gemeinde St. Nicolai verabschiedet. Am 1. November soll er eine übergemeindliche Aufgabe außerhalb des Sprengels Hildesheim-Göttingen übernehmen.

„In keiner Weise tragbar“

Die Landeskirche Hannovers distanzierte sich „in aller Form“ von dem Andachtstext. „Eine Formulierung, die auch nur den Anschein erweckt, dass sie den Holocaust relativiert, ist für uns in keiner Weise tragbar“, sagte Sprecher Benjamin Simon-Hinkelmann. In der Verfassung der Landeskirche werde klargestellt, dass die Kirche um die Schuld gegenüber Jüdinnen und Juden wisse und eine besondere Verantwortung trage, jeder Form des Antisemitismus eindeutig zu widersprechen.

Das Landeskirchenamt in Hannover prüft den Angaben zufolge, inwieweit der Andachtstext über den inakzeptablen Inhalt hinaus auch eine Verletzung der Amtspflicht darstelle. Diese würde eine Disziplinarverfahren gegen den Pastor zur Folge haben. Diederichs werde bis auf weiteres keine Gemeindepfarrstelle übernehmen.

Superintendentin Henking sagte, das Thema sei für die evangelische Kirche in Deutschland „hochschmerzhaft“. Die Kirche selbst habe in der Nazi-Zeit als verfasste Kirche massiv Schuld auf sich geladen und habe dies 1945 in ihrem Stuttgarter Schuldbekenntnis auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Gerade in der heutigen Zeit nähmen Übergriffe auf Juden wieder massiv zu. „Auf diesem gesellschaftlichen und historischen Boden ist dieser Text nicht der richtige Ort für einen Diskurs, unerträglich und überschreitet jede rote Linie.“

Pastor kritisierte Flüchtlingspolitik

Niemand spreche beim „Wort zum Sonntag“ als Privatperson, sondern als Pastor, der das öffentliche Amt der Verkündigung innehabe und in besonderer Verantwortung für die Gemeinde stehe, sagte Henking. Das gelte gerade auch als Patronatspastor. In Alfeld gibt es seit dem 19. Jahrhundert einen Patronatsvertrag mit der Stadt. Der Pastor wird nicht nur durch den Kirchenvorstand, sondern auch durch lutherische Mitglieder des Stadtrats gewählt.

Der Alfelder Bürgermeister Bernd Beushausen (SPD) sagte, in diesem Punkt habe Diederichs nicht nur eine Grenze erreicht, sondern überschritten. Deutlich werde eine „Kontinuität des Handelns“. Bereits 2015 habe der Pastor in einem offenen Brief an die Stadt die Flüchtlingspolitik kritisiert. Er sei damals in der surrealen Situation gewesen, Diederichs auf die Bergpredigt und das Thema Nächstenliebe hinzuweisen. Der Patronatspastor dürfe aber nicht nur eindimensional gesehen werden, er habe gute Gespräche mit ihm geführt. Die Entscheidung sei richtig gewesen, zum Schutz der Gemeinde als auch für ihn möglichst unvorbelastet tätig zu werden.

Verdienste um die Gemeinde

Auch Henking sagte, für viele in der Gemeinde sei der Wechsel sicherlich ein Schock. Diederichs habe sich in den vergangenen Jahren in die Herzen vieler Menschen gepredigt und große Projekte umgesetzt. Er sei sehr anerkannt und habe sich mit Engagement für Familien und das kirchliche Leben eingesetzt. Seine Dienste in all den Jahren würden durch die Entscheidung nicht geschmälert.

Diederichs bezeichnete seinen Weggang nach 18-jähriger Tätigkeit in der Gemeinde St. Nicolai in einer Stellungnahme als eigenen Entschluss in Verantwortung für die Gemeinde und Kirche vor Ort. Er sei dankbar für eine neue Aufgabe und dafür, seine Situation zu verändern, die keine Perspektive mehr geboten hätte. (epd)