NRW-Studie: Bis zu 24 Prozent haben antisemitische Überzeugungen
Eine neue Studie zeigt, wie stark antisemitische Ressentiments in der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens verbreitet sind. Die Ergebnisse bereiten der Landesregierung Kopfzerbrechen.
Antisemitische Ansichten sind in Nordrhein-Westfalen weiter verbreitet als gedacht. Das ist das Ergebnis einer am Dienstag vorgestellten repräsentativen Studie im Auftrag der NRW-Landesregierung. Demnach haben bis zu 24 Prozent der Befragten gefestigte antisemitische Überzeugungen unterschiedlicher Form. Bei einzelnen als einschlägig erachteten Fragestellungen fiel der Wert deutlich höher aus. So forderten 47 Prozent, einen “Schlussstrich unter die Vergangenheit” des Holocausts zu ziehen. Die Gruppe der 16- bis 18-Jährigen ist laut der Erhebung zudem “auffällig israelfeindlich eingestellt”.
Die NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußerte sich bei der Vorstellung der Ergebnisse besorgt: “Wir müssen uns intensiver mit einer Strategie für die sozialen Medien beschäftigen.” Mithilfe einer Machbarkeitsstudie will sie noch in diesem Jahr Grundlagen für das weitere Vorgehen erarbeiten. Die frühere Bundesjustizministerin regte an, speziell die unter Jugendlichen beliebte Plattform Tiktok bei der Präventionsarbeit in den Blick zu nehmen. “Leider kommt man da nicht drumherum”, sagte die FDP-Politikerin. Dass besonders junge Menschen israelfeindliche Ressentiments hegten, sei erschreckend. Dies zeige, dass beim Wissen über Israel und den Nahostkonflikt Nachholbedarf bestehe.
Für die aktuelle Studie wurden in Zusammenarbeit mit dem Allensbach-Institut zwischen dem 8. März und dem 13. April 1.300 Personen ab 16 Jahren befragt. Bei der Auswertung unterschieden die Forscher zwischen verschiedenen Formen des Antisemitismus, darunter etwa religiöser und israelbezogener Judenhass.
“Antisemitismus ist weiter verbreitet als bisher gedacht”, resümierte Heiko Beyer, einer der Projektleiter der Studie. Überraschend sei überdies, dass Bildung “nur einen schwachen vorurteilsmindernden Effekt” habe. Eine hohe Bildung schütze also nicht zwangsläufig vor antisemitischen Einstellungen, so der Forscher der Universität Düsseldorf.
Zu den weiteren Erkenntnissen zählt den Angaben zufolge, dass sich auch hinsichtlich des Migrationshintergrunds keine signifikanten Unterschiede zeigen. Auffälligkeiten gibt es indes in Sachen Religion: So liegen die Antisemitismus-Werte von Muslimen über jenen von evangelischen und katholischen sowie nicht-religiösen Befragten.
Studien-Co-Leiter Lars Rensmann von der Universität Passau forderte als wesentliche Konsequenz aus den Resultaten regulierende Eingriffe bei den Sozialen Medien. Diese seien zur neuen Propagandaform des 21. Jahrhunderts geworden, die bis ins Kinderzimmer hineinreiche. Schulen und Lehrer seien damit überfordert. Angesichts der hohen Anfälligkeit junger Menschen für Antisemitismus plädierte Rensmann dafür, Betreiber von Online-Plattformen für Antisemitismus und Desinformation haftbar zu machen.
Zu konkreten politischen Maßnahmen wollte sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag hingegen nicht äußern. Die weiteren Schritte müssten klug abgewogen werden, betonte er. Für ihn sei jedoch klar, dass man die Dinge nicht so weiterlaufen lassen könne wie bisher.