734 Betroffene, 246 Beschuldigte: Ein weiterer Missbrauchsbericht zeigt, wie tief die systemischen Fehler im Bistum Trier reichen. Die Bischöfe Ackermann und Marx bitten um Verzeihung – Betroffene zweifeln.
Ein sichtlich bewegter Bischof Stephan Ackermann sucht mit belegter Stimme passende Worte für das Grauen sexualisierter Gewalt in der Kirche. Mindestens 734 Personen im Bistum Trier waren in den vergangenen Jahrzehnten von entsprechenden Taten betroffen, wie zuvor ein neuer Bericht offenbarte. Wissenschaftler der Universität Trier haben für die Zeit von 1946 bis 2021 außerdem 246 Beschuldigte identifiziert, “die sich sexualisierter Gewalt schuldig gemacht haben, sowie zwei weitere Personen ausschließlich wegen Besitzes von Kinderpornografie”.
Die Autoren sprechen von einem “Hellfeld des Missbrauchsgeschehens” – die tatsächlichen Zahlen dürften deutlich höher sein. Der vorgelegte Bericht widmet sich der Amtszeit von Bischof Reinhard Marx von 2002 bis 2008 – seitdem ist er Erzbischof von München und Freising – und der des bis heute amtierenden Bischofs Ackermann in der Zeit zwischen 2009 und 2021. Für diese Zeit wurden 37 Beschuldigte (21 unter Marx, 16 unter Ackermann) und mindestens 59 Betroffene (35 unter Marx, 24 unter Ackermann) ermittelt.
Ob man Ackermann zum Rücktritt auffordern sollte – darüber wurde zuvor bei einer Pressekonferenz der Unabhängigen Aufklärungskommission des Bistums diskutiert. Er sehe keinen Anlass dazu, sagte der Kommissionsvorsitzende und frühere Justizminister von Rheinland-Pfalz, Gerhard Robbers: “Jeder einzelne sexuelle Missbrauch ist ein schreckliches Verbrechen an den Betroffenen”. Die Kommission sei erschrocken über das Ausmaß – auch wenn die Zahlen in den letzten Jahren zurückgegangen seien.
Jedoch sehe er nicht, dass es Fortschritte geben könne, wenn Personen nun zu einem Rücktritt aufgefordert würden, antwortete Robbers auf eine entsprechende Frage. Matthias Katsch von der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch äußerte sich kritischer: “Es geht um Verantwortungsübernahme. Und da könnte die Entscheidung stehen, die sagt: Ich bin vielleicht nicht mehr der Richtige, um notwendige Veränderungen zu begleiten und voranzubringen.”
Katsch kritisierte im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) außerdem den Umgang des Bischofs mit der Betroffeneninitiative Missbit. Jutta Lehnert vom Missbit-Vorstand schloss sich an: “Es wäre doch eine Möglichkeit gewesen, Betroffene einzuladen und gemeinsam die Studie durchzugehen. Wir haben den Satz nicht gehört: Ich werde Missbit zu einem Gespräch einladen.” Ackermann selbst signalisierte anschließend, er sei bereit zu einem Treffen.
Er bedauere, dass er nicht zügiger geholfen habe, fügte er vor Journalisten hinzu: “Es gibt einen Bodensatz von Traurigkeit. Ich konnte dem nicht umfassend gerecht werden.” Er wiederholte seine Bitte an die Betroffenen, die er zuvor schon schriftlich veröffentlicht hatte: “Ich kann nur um Verzeihung bitten für das, was ich oder meine Mitarbeitenden Betroffenen sexualisierter Gewalt in unserem Bistum durch unser Handeln oder Nichthandeln an neuen Verletzungen zugefügt haben.”
Ackermanns Amtsvorgänger in Trier, Kardinal Reinhard Marx, nahm nicht an der Pressekonferenz teil, bat aber schriftlich um Verzeihung: “Ich war sehr gerne Bischof von Trier. Umso mehr schmerzt es mich, dass ich erkennen muss, in dieser Verantwortung nicht allen Menschen gerecht geworden zu sein, die meiner bischöflichen Sorge anvertraut waren.”
Systematische Fehler fänden sich in beiden Amtszeiten, heißt es in dem Bericht: “Die Fürsorgepflicht für die Täter wurde höher gewichtet als das öffentliche Sicherheitsbedürfnis”, bilanzieren die Wissenschaftler. Sie sprechen generell von Versäumnissen in der Personalführung. Den Bischöfen werfen die Autoren zudem mangelnde Transparenz vor: “Vielfach übernahmen die Medien die Aufklärung, die das Bistum hätte leisten müssen.” Unzureichende Aktenführung und Informationsweitergabe werden ebenso kritisiert.
Auch der aktuelle Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz kommt im Bericht vor: Georg Bätzing war von 2012 bis 2016 Generalvikar in Trier, bevor er Bischof von Limburg wurde. Studien-Mitautorin Lena Haase beschrieb seine Rolle in Trier im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen als eher unbedeutend. Daher sei eine fokussierte Untersuchung seiner Aktivität für den Bericht “nicht substanziell” gewesen. Immerhin aber habe er andere beteiligte Bistümer über Fälle informiert.
Die Wissenschaftler werteten für ihren rund 140 Seiten umfassenden Bericht fast 1.300 Aktenbände aus und führten 30 Gespräche mit Betroffenen sowie weiteren Personen.
“Das Geschehene ist irreversibel – so sehr wir uns das wünschen würden”, bilanzierte die Präsidentin der Universität Trier, Eva Martha Eckkrammer. Das Forschungsprojekt ist noch nicht abgeschlossen, weitere Erkenntnisse sollen folgen. Klar ist damit, dass die Gesamtzahl der Betroffenen und Beschuldigten weiter steigen wird.