Neue Jobs mit alten Brötchen

Eine schöne Idee: Eine Filiale der Bäckerei Junge verkauft Backwaren vom Vortag, hinter dem Tresen stehen ehemalige Obdachlose. Jetzt gibt es für die „Brot-Retter“ eine gute Nachricht.

Adama Czizmada und Melanie Mauritz verkaufen „Gutes von gestern“
Adama Czizmada und Melanie Mauritz verkaufen „Gutes von gestern“Catharina Volkert

Hamburg. Der Tag von Vasile Raducan beginnt früh. Seit dem 31. März steht er werktags zwischen 5 und 6 Uhr auf, um mit einem Lieferwagen Brötchen, Kuchen und Brote von Lübeck nach Hamburg zu den „BrotRettern“ zu bringen. Adama Czizmada wartet dort auf ihn, er nimmt Bleche mit Franzbrötchen und Streuselschnecken entgegen. Raducan und Czizmada sind „Brot-Retter“. Sie retten bis zu 500 Brote am Tag.
Es sind die Brote der Bäckerei Junge. 180 Filialen, lange Öffnungszeiten, anspruchsvolle Kunden, so sammeln sich Brötchen, Kuchenstücke und Brote, die nicht gekauft und zu Tierfutter verarbeitet werden – trotz Spenden an die „Tafeln“. „Wir waren unglücklich, wie viel Brot übrig blieb“, sagt Gerd Hofrichter, Sprecher der Bäckerei Junge. So entstand die Idee der „Brot-Retter“: eine Filiale, in der Brot vom Vortag zu günstigen Preisen verkauft wird – und das von Menschen, die eine zweite Chance nötig haben. Viele von ihnen kennen das Leben auf der Straße.

Bäckerei hat zwei Mitarbeiter übernommen

Früh morgens sortieren und packen dafür Hinz- und -Künztler – ehemals Wohnungslose aus dem Team des Straßenmagazins Hinz & Kunz – die Backwaren in Lübeck. Dort ist der Stammsitz der Junge-Bäckerei. Dann werden die Kisten mit Gebäck zur Filiale nach Lohbrüge gebracht. Mit einem fünfköpfigen Team hat die Bäckerei begonnen. Zwei von ihnen hat die Bäckerei Junge mittlerweile übernommen, sie sind nun in anderen Filialen tätig. Zudem gehören zu den „Brot-Rettern“ Mitarbeiter der Junge Bäckerei.
„Wir suchten Partner, die professionell unterwegs sind“, beschreibt Hofrichter die Geburtsstunde des Verkaufs. Die Wahl fiel auf Hinz & Kunzt. Hofrichter erinnert sich an die erstaunten Gesichter, in die er damals blickte. „Die fragten sich ‚was will der große Junge hier?‘“ Doch das Angebot war unwiderstehlich: Räume, Inventar, Backwaren, Ausbildung stellt die Bäckerei, das Team sollte von Hinz & Kunzt stammen. „Es war uns egal, was uns das kostet – wir wollten das“,  sagt Hofrichter. Wenn es Verluste gegeben hätte, dann „für einen guten Zweck“.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Kunden geben sich die Klinke in die Hand. Zum Ende des Jahres werden Gewinne erwartet – sie sind Hinz & Kunzt als Spende versprochen. Es hieß bei der Eröffnung am 31. März, dass das Projekt zunächst auf ein Jahr befristet ist. Doch eines steht bereits jetzt fest: Die „Brot-Retter“ wird es weiterhin geben. Zudem eröffnet eine zweite Filiale in Lübeck.

Hier wird die Sprache der Straße gesprochen

„Gibt es auch Körnerbrötchen?“. Eine Frau mittleren Alters wendet sich Adama Czizmada zu. Der holt nun ein Brötchen nach dem anderen hinter der Verkaufstheke hervor. Der Kunde ist König, auch wenn die Preise um einem Euro liegen. Die einen kaufen hier ein, weil sie auf ihren Geldbeutel achten, die anderen, um ein Sozialprojekt zu unterstützen.
Die Schlange geht bis auf die Straße, doch die „BrotRetter“ lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. „Bei uns ist es etwas anders“, meint Filialleiterin Melanie Mauritz, „wir sind entspannter.“ Die Kunden werden auch mit „Hi“ und „Hallo“ begrüßt. Phrasen wie „darf es noch etwas sein?“, die in den traditionellen Verkaufsalltag gehören, werden hier selten verwendet. Die Verkäufer sprechen die Sprache der Straße.
Raducan strahlt. „Es ist gut“, sagt er. Er ist Rumäne, hat zuvor die Zeitschrift „Hinz & Kunz“ verkauft. Sein neuer Job als Fahrer und im Verkauf macht ihm sichtlich viel Freude. Erstmals hat er einen festen Arbeitsvertrag. Und damit eine Krankenversicherung – und Urlaubsanspruch. Urlaub machen, das kannte er gar nicht.

Die Filiale der „Brotretter“ ist in der Alten Holstenstraße 12, Hamburg-Lohbrügge.