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Neue Formen des Zusammenlebens gestalten – So könnte es gehen

Blutsverwandt oder verheiratet – so definiert man meist Familie. Eine Beraterin betont nun, dass auch Wahlfamilien, Co-Elternschaft oder solidarisches Wohnen für Geborgenheit und Verbindlichkeit sorgen können.

Die Familie als Hort von Geborgenheit und Verlässlichkeit: Vater, Mutter, zwei Kinder, möglichst in einem freistehenden Einfamilienhaus mit Garten – das gilt noch heute vielen als Ideal. Doch die Realität sieht häufig anders aus. Durch Trennungen kommt es zu Patchwork-Familien, manche leiden unter Einengung. Andere wiederum halten das klassische Konzept der Kleinfamilie für überholt und probieren aus, wie es anders gehen könnte.

Beziehungsberaterin Andrea Newerla will in ihrem soeben erschienenen Buch “Wie Familie, nur besser” zeigen, wie neue Möglichkeiten des Zusammenlebens funktionieren können. Dabei will sie keinesfalls die klassische Familie abgeschafft wissen, sondern eine “Erweiterung der Möglichkeiten” vorschlagen, wie sie betont. Ihre zentrale Botschaft ist: Familie ist nicht naturgegeben, sondern menschengemacht und damit veränderbar. Wer Verantwortung übernimmt, füreinander sorgt und verbindlich lebt, kann “Familie” auch jenseits traditioneller Strukturen schaffen.

Die Autorin berichtet etwa von Freundinnen, die sich entscheiden, gemeinsam ein Kind großzuziehen. Von Wohngemeinschaften, in denen Menschen aller Generationen zusammenleben, Kosten teilen und füreinander sorgen. Oder von Paaren, die bewusst mehr Erwachsene in die Verantwortung einbeziehen, um die Lasten von Care-Arbeit gerechter zu verteilen.

Das zeigt sie an verschiedenen Beispielen. In Berlin lebt beispielsweise eine Gruppe von sieben Erwachsenen mit zwei Kindern in einer Hausgemeinschaft. Sie haben einen Plan erstellt, wer wann kocht, wer sich um die Kinder kümmert, wer Einkäufe erledigt. Das schafft Verlässlichkeit und verhindert, dass Sorgearbeit – wie automatisch – an eine einzelne Person fällt. Für Newerla ist das ein Modell, das auch Geschlechterungleichheit aufbricht.

Ebenso sieht sie Co-Elternschaft als Zukunftsmodell. Statt Vater-Mutter-Kind können mehrere Erwachsene gemeinsam Verantwortung für Kinder übernehmen. So entsteht ein nach Newerlas Ansicht stabileres Fundament: Wenn eine Beziehung scheitere, breche nicht gleich das ganze System zusammen.

Das Buch ist aber nicht nur eine Sammlung positiver Beispiele, sondern auch eine Analyse der Fallstricke klassischer Familienmodelle. Newerla verweist auf Statistiken: Fast ein Viertel aller Familien in Deutschland sind Nachtrennungsfamilien, bestehend aus Alleinerziehenden oder Patchwork-Konstellationen. Dazu kommen hohe Zahlen von Gewalt und Kindesmissbrauchs im familiären Umfeld. “Familie ist kein Garant für Glück”, bilanziert die Autorin.

Sie plädiert dafür, das Konzept Familie zu erweitern – mit Wahlfamilien, also selbstgewählten Verbindungen, die auf Verbindlichkeit beruhen. “Warum nicht mit denen, die uns wichtig sind, den Alltag gestalten?”, fragt sie und bedauert es sehr, dass das Konzept der Verantwortungsgemeinschaft nicht Gesetz geworden ist. Die Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte ein neues Rechtsinstitut neben der Ehe einführen, das jene Menschen in den Blick nimmt, für die eine Ehe nicht infrage kommt – etwa alleinstehende ältere Menschen in einer Wohngemeinschaft oder Alleinerziehende, die sich gegenseitig unterstützen wollen.

Newerla verschweigt nicht, dass neue Modelle des Zusammenlebens auch Arbeit bedeuten. Wer sich verbindlich mit Freundinnen oder Mitbewohnern zusammentut, muss aushandeln, wer welche Verantwortung übernimmt, wie Geld oder Care-Arbeit verteilt wird, welche Grenzen gelten. Doch gerade darin sieht sie die Chance, Ungleichheiten sichtbar zu machen und sie zu überwinden.

Ihr Aufruf zum Schluss: “Bilde deine Familienbande, jetzt”. Die Beraterin ist nicht davon überzeugt, dass die klassische Familie die Antwort auf alle Fragen ist, sondern dass es viele individuelle Lösungen gibt. Wer die klassische Familie liebt und sich dennoch durch Irrungen und Wirrungen des Schicksals in eher ungewohnten Formen des Zusammenlebens wiederfindet, bekommt von Newerla einige Ideen, wie man sie gestalten kann.