Nach der Empörung kam die Solidarität

Es war der erste Anschlag auf eine Synagoge in Deutschland nach dem Krieg. Niemand wurde verletzt, doch Spuren bleiben bis heute.

Die Feuerwehr löscht den Brand am frühen Morgen des 25. März 1994
Die Feuerwehr löscht den Brand am frühen Morgen des 25. März 1994Jo Marwitzky / epd

Lübeck. Die Taten lösten deutschlandweit Entsetzen aus: Am 25. März 1994 und am 7. Mai 1995 verübten Kriminelle Brandanschläge auf die Lübecker Synagoge. Der Schock saß tief, schließlich war es das erste Mal nach der Pogromnacht im Jahr 1938, dass in Deutschland eine Synagoge in Brand gesteckt wurde. Es blieben bislang die einzigen Anschläge auf die Lübecker Synagoge, verletzt wurde damals niemand. Doch die Folgen spürt die mehr als 600 Mitglieder große Jüdische Gemeinde bis heute: Rund um die Uhr herrscht vor dem roten Backsteingebäude Polizeipräsenz. Und das wird auch nach der Wiedereröffnung der Synagoge Ende 2019 so bleiben.
Die jüdischen Familien, die in den Wohnungen über der Synagoge im März 1994 lebten, bemerkten den starken Qualm rechtzeitig und alarmierten die Feuerwehr. Bei dem Brand wurden der Vorraum der Synagoge und historische Dokumente zerstört. Die vier jungen Täter aus dem rechtsextremen Lübecker Milieu wurden zu Haftstrafen verurteilt. Der erneute Brandanschlag ein Jahr später verfehlte glücklicherweise auch sein Ziel, lediglich ein angrenzender Schuppen brannte vollständig aus.
Seitdem kommt es auf dem jüdischen Friedhof in Lübeck-Moisling ab und an zu Vandalismus, Grabsteine werden umgeworfen und Ziegelsteine aus der Friedhofsmauer herausgebrochen. Brandanschläge auf die Synagoge gab es keine mehr.

Noch immer wacht die Polizei

Dass in dem kleinen Häuschen vor dem Gebetshaus nach wie vor Polizisten sitzen, ist Teil des bundesweiten Sicherheitskonzeptes. "Die Sicherheitsbehörden des Bundes und des Landes Schleswig-Holstein gehen von einer abstrakt hohen Gefährdungslage jüdischer Einrichtungen in Deutschland aus", erklärte die Sprecherin des Landeskriminalamtes in Kiel, Carola Jeschke, auf Nachfrage dem epd. Jüdische Einrichtungen würden deshalb entsprechend beschützt, so auch die Lübecker Carlebach-Synagoge.
Dabei ist die Synagoge auf den ersten Blick kaum als solche zu erkennen. Lediglich der Davidsstern im Giebel des Gebäudes deutet darauf hin, dass es sich um eine jüdische Einrichtung handelt. Früher galt die Synagoge aus dem Jahr 1880 als prachtvolles Gotteshaus, mit einer Fassade im maurisch-byzantinischen Stil und einer großen Kuppel auf dem Dach. Während des NS-Regimes wurde sie zwar nicht zerstört, aber bis zur Unkenntlichkeit umgebaut. Die Kuppel wurde abgenommen, die maurische Fassade durch schlichte Backsteine ersetzt und die Synagoge umfunktioniert zu einer Sporthalle. Nach dem Krieg blieb das Gebäude lange ungenutzt, die meisten Lübecker Juden waren unter den Nazis umgekommen oder ausgewandert.

Umbau wurde lange diskutiert

Erst in den 1990-er Jahren kamen Juden aus der früheren Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten nach Lübeck, die Gemeinde wuchs wieder. Die Synagoge, die so viele Jahre brach lag, war allerdings marode geworden. 2013 drohten Teile des Gebäudes einzustürzen, 2014 konnte dank eines Sanierungsplans mit der Restaurierung begonnen werden. 6,3 Millionen Euro sollte die Sanierung kosten, der Bund wollte die Hälfte übernehmen, zwei Stiftungen, die Possehl-Stiftung und die Sparkassenstiftung versprachen Unterstützung.
Ein Umbau der Fassade war damals vieldiskutiertes Thema und damit auch die Frage, ob die Synagoge wieder ihre alte maurische Hülle bekommen sollte. Von einer "Schande" hatte im Vorfeld der Schoa-Überlebende Benjamin Gruzka gesprochen und leidenschaftlich für die Rekonstruktion der alten Fassade plädiert. Der Denkmalschutz lehnte den Abriss der Backsteinfassade jedoch ab. Auch der Architekt des Projekts, Thomas Schröder-Berkentien, sträubte sich dagegen, die ursprüngliche Außenansicht der Synagoge wiederherzustellen. "Die jetzige Fassade stellt eine Narbe dar, die zu unserer gebrochenen Geschichte gehört. Da kann man mit einem Umbau nicht einfach den Eindruck erwecken, es sei nichts geschehen", so der Lübecker Architekt.
Obwohl die Fassade letztendlich blieb, gestaltete sich die Sanierung zäh. 2016 war das bereitgestellte Geld verbraucht, um die Finanzierung des letzten Bauabschnitts musste beim Bund erneut intensiv gerungen werden. Es gelang, ein halbes Jahr später konnten die Baumaßnahmen weitergehen. Das Dach ist inzwischen ersetzt, die Fassade frisch verfugt, neue Fallrohre verlegt. Momentan laufen die Arbeiten noch im Innenraum. Restauratoren legen dort alte Malereien frei, außerdem bekommt die Gemeinde eine komplett neue Sakralausstattung. Medienberichten zufolge soll die Sanierung nun 8,3 Millionen Euro kosten – eine Zahl, zu der Schröder-Berkentien sich nicht äußern will.

Ein zweites Zuhause

Ende 2019 sollen die Baumaßnahmen beendet sein. Die Jüdische Gemeinde hofft, dass sie dann ihre Synagoge wieder in Betrieb nehmen kann. Seit Beginn der Sanierung musste sie ihre Gebete im meist stickigen Keller des benachbarten Bürogebäudes abhalten.
So hatte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Lübeck, Alexander Olschanski, bei der zentralen Gedenkfeier des Landes für die Opfer des Nationalsozialismus im vergangenen Januar als Zeitzeuge an den Brandanschlag erinnert. Die große Empörung und vollkommene Solidarität der Lübecker mit der jüdischen Gemeinde nach dem Anschlag hätten ihm damals gezeigt, dass die Entscheidung, nach Deutschland zu ziehen, kein Fehler war. "Trotz mancher Schwierigkeiten ist Deutschland für die meisten von uns ein zweites Zuhause und für unsere Kinder und Enkelkinder eine echte Heimat geworden." Die laufende Sanierung der Synagoge sei die beste Bestätigung für eine freie Religionsausübung. (epd)