Mit Spritze und Tattoo

Für Obdachlose ist es schwierig, sich vor dem Virus zu schützen. Sie können sich schlecht isolieren und haben oft Vorerkrankungen. In Hannover haben mobile Teams nun erstmals im großen Stil geimpft.

Helmut wird gegen Corona geimpft – seinen Hund Ascko scheint das nicht besonders zu interessieren
Helmut wird gegen Corona geimpft – seinen Hund Ascko scheint das nicht besonders zu interessierenNancy Heusel

Hannover. In der langen Schlange vor dem Kontaktladen „Mecki“ hat sich Helmut (43) mit seinem Hund Ascko den dritten Platz gesichert. Heute stehen er und weit mehr als 60 Obdachlose hinter ihm geduldig an. Doch nicht wie sonst warten sie auf warme Wahlzeiten. Stattdessen hoffen sie auf einen Piks –beim ersten großen Corona-Impftermin für Obdachlose in Hannover. Zwei mobile Teams verabreichen ihnen rund 250 Dosen des Moderna-Impfstoffs. Obdachlose gehören bundesweit zur Prioritätsgruppe 2 bei den Impfungen.

Helmut hat nach eigenen Angaben seit zwei Jahren keine Wohnung mehr. „Ich bin um 6 Uhr aufgestanden, um mich anzustellen“, erzählt er. Aufgeregt sei er nicht, er freue sich auf den Termin. Die Coronazeit sei bislang schwierig für ihn gewesen. Oft habe er nicht gewusst, wohin er gehen solle, wo doch viele Anlaufstellen geschlossen seien.

Ehrenamtliche im Einsatz

„Wer will hier noch geimpft werden?“, ruft indes eine Helferin durch das Stimmengewirr auf dem Raschplatz neben dem Hauptbahnhof. „Stellt euch dort an, das ist die Impfschlange“, sagt sie zu einer Gruppe und deutet zu einem anderen Ehrenamtlichen, der mit Klebeband Abstandsmarkierungen auf dem Boden anbringt.

 

„Die Impfungen sind ein Thema in der Szene“, berichtet Krankenschwester Franziska Walter, die im Kontaktladen arbeitet. „Die Menschen haben immer wieder nachgefragt, wann sie geimpft werden.“ Walter hofft, dass sich Obdachlose im „Mecki“ bald regelmäßig impfen lassen können wie in Hausarztpraxen. Während der Impfaktion hat sie den bürokratischen Teil der Arbeit im Blick. Bei ihr müssen die Impfwilligen beispielsweise einen Anamnese-Bogen ausfüllen und eine Einwilligungserklärung unterschreiben.

Um die groß angelegte Impfaktion habe sich der Kontaktladen immer wieder selbst kümmern müssen, sagt Walter: „Wir müssen uns bemerkbar machen, auf uns würde keiner zukommen.“ Wie gut die Impfungen für Obdachlose vorankommen, hänge sehr stark vom Engagement der Kommunen und der freien Träger ab, sagt auch Sabine Bösing, stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) mit Sitz in Berlin. Die Organisation der Impfungen für diese Gruppe sei mit vielen Herausforderungen verbunden.

„Innere Zufriedenheit“

Gerade für Obdachlose seien die Impfungen aber sehr wichtig, betont Bösing: „Wenn es heißt: Bleibt zu Hause, ist das natürlich gerade für die Menschen schwierig, die kein Zuhause haben.“ Obdachlose könnten sich schlechter von anderen Menschen isolieren und Hygiene-Standards einhalten. Häufig litten sie unter Vorerkrankungen. Bundesweit sind laut BAGW-Schätzungen rund 237.000 Menschen in Deutschland obdachlos.

Geduldig stehen die Wohnungslosen in einer Schlange an
Geduldig stehen die Wohnungslosen in einer Schlange anNancy Heusel / epd

Nachdem Helmut im Kontaktladen Platz genommen hat, füllt er die Formulare zügig aus. Dann schickt ihn Franziska Walter zur Impfung. Er zieht mehrere Oberteile aus, bis sein rechter Arm zum Vorschein kommt. Die Ärztin des Arbeiter-Samariter-Bunds verabreicht ihm die Spritze an einer Stelle, unter der ein großes Totenkopf-Tattoo prangt. „Innere Zufriedenheit“ empfinde er angesichts der Impfung, sagt der Hannoveraner, als wenig später ein Pflaster über der kleinen Einstichstelle klebt. „Jetzt weiß ich, dass ich die nächste Zeit gut überstehe und das Virus auch nicht mehr übertrage.“ (epd)