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Mit einem Klick in die Glücksspielsucht

Handy raus, Wette rein: Dank moderner Technik ist das Glücksspiel heute so leicht wie nie. Für Süchtige ein ernstes Problem. Ein Sozialarbeiter und ein Betroffener berichten vom Umgang mit der Sucht.

Von Sportwette bis Online-Poker: In Zeiten der Digitalisierung sind Glücksspiele rund um die Uhr verfügbar. Anbieter locken mit Quoten-Boostern und Neukundenboni – schön verpackt in bunte Bilder und mit bekannten Werbegesichtern. Steter Anreiz ist das Versprechen vom großen Geld. Doch die Realität sieht oft weniger glamourös aus. “Hier wird mit dem Elend von Menschen Geld verdient”, sagt der Sozialarbeiter und Suchttherapeut Jörg Zerche. Zusammen mit einem Betroffenen erklärt er, wie schnell man heute in die Spielsucht gerät – und wie man frühzeitig Anzeichen einer Abhängigkeit erkennt.

“Angefangen hat es 2018 durch Zufall. Ich habe eine Werbung von Tipico gesehen, mit 100 Euro Neukundenbonus. Ich dachte, ich probiere es mal aus”, berichtet Jonas vom Einstieg in seine Spielsucht. Der junge Familienvater heißt eigentlich anders, möchte seinen Namen aber nicht in den Medien lesen.

Als von dem Geld nur noch ein paar Euro übrig waren, hat Jonas den Rest über eine Handy-App weiter in Glücksspiel investiert, erzählt er weiter. “Ich dachte mir, ich runde den Betrag noch um ein paar Cent von meinem eigenen Geld auf und dann ist es gut. Es wäre auch gut gewesen, hätte ich direkt verloren. Aber ich habe etwas gewonnen.”

Die Folge seines Gewinns: Ein Teufelskreis. “Ich habe immer wieder kleine Beträge gesetzt. Geld, das ich vorher gespart habe. Wenn man dann verliert, kommt man schnell in eine Spirale und denkt sich, man gewinnt das Verlorene einfach wieder zurück”, erzählt Jonas. Er habe es zwar irgendwie geschafft, sein persönliches Erspartes vom Geld für die Familie zu trennen. “Es gab also keinen Streit um Finanzen. Aber mein Geld war einfach weg.”

Zerche warnt: Solche Fälle sind heute die Regel. “Die klassischen Spielautomaten sind selten geworden. Jetzt geht es meist um Online-Sportwetten, Internet-Poker und dergleichen”, erklärt der Sozialarbeiter, der unter anderem als Experte für Glücksspielsucht bei der Ambulanten Suchthilfe von Caritas und Diakonie in Bonn tätig ist. Die ständige Verfügbarkeit durch Handy, Tablet und Computer verschärfe das Suchtproblem. Hinzu kämen digitale Angebote mit glücksspielähnlichem Charakter, etwa der Handel mit Crypto-Währungen oder einige Transaktionen mit echtem Geld in Computerspielen.

Jonas erzählt, dass Wetten und Glücksspiel auch bei ihm irgendwann den Alltag bestimmten. “Ich habe nicht mehr am Leben teilgenommen, sondern immer mit einem Auge aufs Handy geschaut.” Eine Kollegin habe ihn schließlich auf sein Verhalten angesprochen und er habe sich an die Suchtberatung gewandt. “Ich habe ein paar Gesprächstermine besucht. Das ist auch für etwa ein Jahr gut gegangen. Aber in einem schleichenden Prozess habe ich dann wieder angefangen.”

Mit seinem Rückfall ist Jonas nicht alleine. Zerche sieht einen Grund in der flächendeckenden Werbung, die gerade bei Sportwetten sehr präsent sei. “Und sie wirkt”, sagt der Experte. “In Deutschland werden mit Glücksspiel im Jahr rund 45 Milliarden Euro verdient. 60 Prozent davon zahlen die Spielsüchtigen.”

Auch Jonas übt deutliche Kritik an der Werbung. “Ich schaue gerne Fußball. In jeder Halbzeitpause tauchen da Werbungen von fünf unterschiedlichen Wettanbietern auf”, sagt er. Ihn lasse das mittlerweile kalt. “Aber ich muss immer daran denken, wie gefährlich das ist. Es hilft nicht, wenn irgendwo im Kleingedruckten steht, dass Spielen ja ab 18 ist und süchtig machen kann.”

Jonas und Zerche sind sich einig: Spielsüchtige brauchen Hilfe von außen und offene Gespräche. “Nach meinem Rückfall habe ich letztes Jahr reinen Tisch gemacht. Bei meiner Familie und meinen Freunden”, sagt Jonas. Zudem habe er sich wieder an die Suchthilfe gewandt. “Es war wichtig zu sehen, dass ich nicht alleine bin, dass es viele andere wie mich gibt.”

Zerche rät außerdem dazu, sich frühzeitig in Hilfe zu begeben und nicht zu warten, bis die Probleme Überhand nehmen. Ein erstes Anzeichen für eine Sucht sei etwa der Drang, möglichst oft zu spielen und immer mehr Geld zu investieren. Auffällig sei, wenn Betroffene nach Geld fragten, sich sozial isolierten oder reizbar seien. Leider versuchten viele, ihre Probleme zu verheimlichen. Doch gerade dann sei eine Therapie oder auch nur ein offenes Gespräch eine Art Befreiung.

Betroffene können sich bei Beratungsstellen, etwa von Caritas und Diakonie, und bei den Landesfachstellen für Glücksspielsucht melden. Auch anonyme Anfragen, Telefongespräche und unverbindliche Beratungen sind vielerorts möglich.