Mit der Familienbibel auf der Spur der Vorfahren

Timmendorfer Strand. Dass seine Großeltern eine Familienbibel geführt hatten, wusste Pastor Thomas Vogel aus Timmendorfer Strand nicht – bis er vor zwei Monaten einen Anruf aus Nordrhein-Westfalen erhielt. Nun hält er das 100 Jahre alte Erbstück in den Händen und erfährt manches Geheimnis seiner Familie.

So schnell wird Thomas Vogel aus Timmendorfer Strand diesen Tag nicht vergessen. Sein Diensttelefon klingelte, für einen Sonntagabend im Mai ungewöhnlich. „Wenn nicht gerade jemand gestorben ist, ruft mich um diese Zeit niemand an“, sagt der Pastor. Es meldete sich Bea Blümke aus Kaarst in Nordrhein-Westfalen, die zum Glück eine gute Nachricht überbringen wollte.
Zunächst stellte sie dem 61-Jährigen eine entscheidende Frage: „Sind Sie ein Urenkel von Georg Fell?“ Thomas Vogel bejahte. Über seinen Vater hatte er von seinem Urgroßvater viel erfahren. Georg Fell (1858 – 1938) war seinerzeit ein bedeutender Mann. Er spielte in den Anfängen der Genossenschaftsbewegung in Leipzig eine wichtige Rolle, war erfolgreicher Kaufmann und überzeugter Sozialdemokrat. So bekleidete er diverse Geschäftsführerposten und leitete 1893 den reichsweiten SPD-Parteitag in Köln. Thomas Vogel hatte einen Aufsatz über seinen Urgroßvater verfasst, der auch im Internet zu finden ist.

Das Geheimnis der letzten Seiten

Bei Recherchen stießen Bea Blümke und ihr Partner auf den Text und machten Thomas Vogel ausfindig. Die Fans antiquarischer Bücher waren sich sicher, dass eine Familienbibel von 1915, die sie über das Internet ersteigert hatten und in der Georg Fell erwähnt ist, ursprünglich den Großeltern von Thomas Vogel gehört hatte. Der wusste nichts von einem solchen Erbstück und freute sich umso mehr, als die Lutherbibel wenige Tage nach dem Telefonat in seinem Pastorat eintrudelte. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie tausend andere Bibeln: schwarzer Einband mit Goldschnitt – eine Standardausgabe ohne Schnickschnack.
Blick in die Familienbibel
Doch aufgrund ihrer letzten Seiten, die mit „Familienchronik“ überschrieben sind, ist sie für Vogel von unschätzbarem Wert. Hier findet sich ein Stück Geschichte zwischen 1917 und 1952, das der gebürtige Hamburger so detailliert bislang nicht kannte. Die Hochzeit seiner Großeltern am 23. Januar 1917 in Hamburg-Othmarschen ist der erste Eintrag. „Vielleicht hat mein Urgroßvater Georg Fell sie ihnen zur Trauung geschenkt“, vermutet Thomas Vogel. Georg Fell ist als Vorfahre von Vogels Großmutter Maria genannt. Auch die Militäreinsätze der Söhne im Zweiten Weltkrieg wurden festgehalten, ebenso Lazarettaufenthalte.

Jetzt schreibt Vogel selbst die Geschichte fort

So erfuhr Thomas Vogel, dass sein Onkel im Krieg an der „linken Gesäßhälfte“ verletzt wurde und sein verstorbener Vater oft an Mittelohrentzündungen litt. Auch der Kirchenaustritt eines Onkels wurde dokumentiert. Thomas Vogel wusste bereits, dass sein Urgroßvater Georg Fell 1938 im Alter von 80 Jahren gestorben war. Dass der Tod aber durch einen Herzschlag während eines Vollbads eintrat, las er erst jetzt in der Familienbibel.
Die letzte Eintragung im Jahr 1952 stammt von seiner inzwischen verstorbenen Stiefgroßmutter, die sein Großvater nach dem Tod seiner ersten Frau geheiratet hatte. Sie trug den Tod ihres Mannes ein. Vogel vermutet, dass das Buch kurz darauf verloren ging. Er bewahrt das Erbstück im Regal auf, neben seinen anderen heiligen Büchern. Eine ähnliche Bibel liegt auf seinem Schreibtisch. Dabei handelt es sich um die Trau­bibel, die Thomas Vogel und seine Frau 1988 zur Hochzeit bekommen haben. Hier schreibt der Vater dreier Kinder die Familiengeschichte fort.