Mehr als ein Projekt

„I can’t breath“ – in Fotoserien und Poetry-Slam-Beiträgen haben sich die Schüler verschiedener katholischer Schulen und des Kultur­forums 21 damit beschäftigt, was ihnen die Luft zum Atmen nimmt.

Stress, Erschöpfung, Verzweiflung und Angst sind Emotionen, die die Schüler während der Schulzeit begleiten – und ihnen die Luft zum Atmen nehmen
Stress, Erschöpfung, Verzweiflung und Angst sind Emotionen, die die Schüler während der Schulzeit begleiten – und ihnen die Luft zum Atmen nehmen

Hamburg. „White silence is violence“ – das Schweigen der Weißen ist Gewalt, sagt Ariyaneh Nazar­zadeh in die Kamera. Denn wer nicht über Rassismus und Diskriminierung spräche, unterstützt es. „Menschen leiden, nein sterben, weil wir sind, wie wir sind, und wir schauen weg und tun so, als wären wir blind“, heißt es auch im Slam-Beitrag von Sarah Onyeke. Die beiden jungen Frauen sind Kulturbotschafterinnen des Kulturforums 21 des Erzbistums Hamburg, das derzeit zusammen mit drei katholischen Schulen der Hansestadt und den Deichtorhallen eine Fotoausstellung auf die Beine gestellt hat. „I can’t breath – ich kann nicht atmen“ lautet ihr Titel.

Ein Dreivierteljahr ist es nun schon her, dass diese letzten Worte George Floyds um die Welt gingen. Am 25. Mai 2020 kam der 46-jährige Afroamerikaner bei einer gewaltsamen Festnahme durch die Polizei ums Leben. Acht lange Minuten lang hatte ein Polizist sein Knie auf Floyds Hals gedrückt. Sein Tod führte weltweit zu Massenprotesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. Seither ist viel passiert. Die Corona-Pandemie jährt sich in diesen Wochen. Isolation, Schulstress, Einsamkeit gehen damit einher. Für die Schüler hat der Projekttitel „I can’t breath“ somit eine viel weiter gefasste Dimension bekommen.

Immer wieder Quarantäne

Neben den Kulturbotschaftern haben auch die Sophie-Barat-Schule, das Niels-Stensen-Gymnasium und die Katholische Bonifatiusschule an dem Projekt teilgenommen. In ganz unterschiedlichen Fächern. „Für mich war das etwas ganz Neues“, sagt Birgitt Müller. Sie ist Theater- und Englisch-Lehrerin an der Sophie-Barat-Schule. Normalerweise studiert sie mit dem Abitursjahrgang jedes Jahr ein Theaterstück ein. Doch im vergangenen Jahr war ohnehin alles anders. Seit den Herbstferien sei eigentlich immer ein Teil des Jahrgangs in Quarantäne gewesen.

Dieses Foto kommt von Ariyaneh Nazarzadeh (18)
Dieses Foto kommt von Ariyaneh Nazarzadeh (18)

Wie so vieles in den vergangenen Monaten lief auch das Projekt vollständig digital. „Wir haben sogar virtuell eine Ausstellung besucht“, berichtet Müller. Viele Fragestellungen in der Fotografie seien ähnlich. Da ist die Frage der Perspektive und danach, wie eine Geschichte erzählt werden soll. „Beim Fotografieren geht es dann noch weiter“, so Müller. „Die Schüler mussten überlegen, wie sie die Geschichte, die sie erzählen wollen, so weit verdichten, dass nur eine Hand voll Fotos ausreichen, sie zu erzählen“, so Müller. Unterstützt wurden die Lehrer von der Schauspielerin Ruth Krüger und dem Fotografen André Lützen.

Herausgekommen sind beeindruckende, teilweise sehr intensive Fotos zu ganz unterschiedlichen Situationen, die den Schülern in ihrem eigenen Leben die Luft zum Atmen nehmen. Da wird Obdachlosigkeit thematisiert, aber auch Schulstress, die Einsamkeit der aktuellen Corona-Isolation, Trauer um verstorbene Menschen, aber auch der Alltag mit Masken. „Die Schüler sollten Floyds Ausruf als Ausgangspunkt nehmen und in ihr eigenes Leben übersetzen“, erklärt Müller.

Ein durchweichtes Protestplakat

Für Ariyaneh Nazarzadeh war jedoch von Anfang an klar: „Ich möchte unbedingt das Hauptthema behandeln.“ Sowohl auf Fotos als auch in ihrem Wortbeitrag beschäftigt sie sich mit der Flüchtigkeit der Rassismusproteste. Viele, gerade junge Menschen seien im vergangenen Jahr auf die Straße gegangen, hätten Plakate gemalt, sich in den Sozialen Medien solidarisch gezeigt. Doch was ist heute davon übrig? Ihre Fotos zeigen ein Protestplakat, durchweicht und halb verdeckt von Schnee und Eis. „Und dann liegen die Plakate, voll durchnässt und aufgestapelt, neben Hoffnung und Vertrauen“ heißt es in ihrem Wortbeitrag.

Nazarzadeh hat selbst schon den Rassismus ihrer Mitmenschen zu spüren bekommen. Nicht den offenen, aggressiven, „eher den nicht böse gemeinten“, sagt die 18-Jährige. Ariyaneh Nazarzadeh ist Deutsche. Ihre Eltern stammen aus dem Iran. „Leute, die mich gar nicht unbedingt kennen, sagen verwundert, wie gut ich doch Deutsch sprechen würde oder wie schön doch meine Haare seien.“ Das zeige, dass Deutschsein noch nicht weit und bunt genug gedacht wird.

Inmitten des Trubels der Welt

Ähnlich ist es auch bei Sarah Onyeke. Immer wieder käme es zu Gesprächssituationen in denen sie denkt: „Wow, das hätte jetzt nicht sein dürfen.“ Für sie ist die Aktion viel mehr als ein Projekt. „Ich hoffe, dass sich in 20 Jahren wirklich etwas bewegt hat“, sagt sie. Für ihre Bilderreihe hat sich die 17-Jährige selbst vor die Kamera gestellt – mal weinend, mal schockiert, mal verwundert. „Leute sterben, hungern, leiden und da bin ich – inmitten des ganzen Trubels der Welt. Ich mit dem Versuch, meine kleine Welt aufrecht zu halten und nicht zu ertrinken in dem Gemisch aus Wut und Trauer“, sagt sie. „Das sind meine Gefühle und Emotionen, das bin ich. Sarah.“