Mehr als 45 “Behandlungstote” täglich?
Wer zum Arzt oder ins Krankenhaus geht, erwartet eine Behandlung, die hilft. Doch die Zahl der Behandlungsfehler ist hoch. Das liegt nicht etwa an schlecht ausgebildeten Medizinern oder am Pflegepersonal, sagen Experten. Ein Grund sind die vergleichsweise schlechten Rahmenbedingungen im deutschen Gesundheitssystem. Vor allem die sogenannten Fallpauschalen, wonach Kliniken eine Pauschale je nach Behandlung erhalten, egal wie intensiv oder lange sie dauert, stehen in der Kritik. Diese erzeugten einen hohen ökonomischen Druck. Das Patientenwohl gerate dadurch ins Hintertreffen.
Walter Pöferlein war selbst einmal Intensiv-Krankenpfleger. Heute ist der 77-jährige Patientenfürsprecher des Klinikums Altmühlfranken in Gunzenhausen. „Die Fallpauschalen haben viel verdorben“, glaubt auch er. Doch noch viel wichtiger, als diese zu hinterfragen, wäre es, die Praxis der ambulanten Operationen zu überdenken. Einen Nabelbruch operieren zu lassen, ohne eine einzige Nacht zur Überwachung in der Klinik zu liegen, findet er aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen als Intensiv-Krankenpfleger bedenklich. „Das ist nicht im Sinne der Patientensicherheit“, sagt der Rentner aus Degersheim im Kreis Weißenburg-Gunzenhausen.
Bereits vor fünf Jahren hat die bayerische Landesvertretung des Verbands der Ersatzkassen für mehr Einsatz beim Thema Patientensicherheit plädiert. Am Rande eines Fachforums mit dem Titel „Patientensicherheit: Wer kann es am besten?“ wurde das Thema aufgegriffen. Seitdem habe sich einiges zum Positiven geändert, sagt der Sprecher des Ersatzkassen-Bundesverbandes Tobias Mayer. So könnten Patienten etwa über das Internet-Portal „Mehr Patientensicherheit“ ihre Erfahrungen mit anderen teilen. Doch nicht alles ist gut, es gebe auch bedenkliche Entwicklungen – etwa den immer krasseren Personalmangel in den Kliniken oder Heimen.
Fehlendes Personal führe „zu kritischen Ereignissen“, sagt Mayer. Würden aus Zeitgründen medizinisch notwendige Untersuchungen oder Therapien unterlassen, könne dies zu schweren Patientenschäden führen. Laut der Regensburger Selbsthilfegemeinschaft für Medizingeschädigte (SGM) ist jede 100. Klinikbehandlung fehlerhaft. Demnach wären jährlich 168.000 Patienten betroffen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MD) hat 2023 bundesweit 12.438 Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern gestellt: „Experten gehen von circa 17.000 fehlerbedingten, vermeidbaren Todesfällen aus“, so der MD. Das wären 46 Tote täglich.
Bayerische Patienten können sich bei Versorgungsproblemen an den Patienten- und Pflegebeauftragten der Staatsregierung, Thomas Zöller (Freie Wähler), wenden. Seit Amtsantritt im November 2023 hat er knapp 700 Anfragen erhalten. Sein Eindruck: Oft scheitert die Patientensicherheit an mangelndem Qualitätsmanagement. „In anderen Einrichtungen gibt es Checklisten, Arzneimittelbeauftragte oder digitale Unterstützung, um solche Fehler erst gar nicht entstehen zu lassen.“ Die Gesundheitsversorgung sei komplex: „Fehlerquellen lauern an vielen Stellen.“ Deshalb sei es auch „unrealistisch, dass wir Fehler ganz vermeiden können“.
Auch Dieter Meier, Vorstand des Diabetikerbunds Bayern, ist davon überzeugt, dass vor allem Personal- und Geldmangel die Patientensicherheit gefährden. Dies gelte nicht zuletzt für die Diabetesbehandlung. Große Sorgen bereitet der in Nürnberg ansässigen Organisation außerdem die zunehmend prekäre hausärztliche Versorgung. Immer mehr Praxen schließen altersbedingt, die verbliebenen Hausärzte hätten immer mehr Patienten. „Eine umfangreiche Betreuung durch den Hausarzt gelingt dadurch immer weniger“, sagt Meier. (00/2823/22.09.2024)