Maske auf zum Gebet

Keine Gesang, dafür viel Raum für Neues – am Sonntag haben Kirchengemeinden im Norden wieder die ersten Gottesdienste gefeiert. Auch in der Hamburger Christianskirche. Ein Besuch mit Abstand.

Weite Abstände in der Christianskirche in Hamburg-Ottensen
Weite Abstände in der Christianskirche in Hamburg-OttensenJohanna Tyrell

Hamburg. Die weiße Albe oder doch lieber Jeans und Sakko? „Ich habe heute Morgen tatsächlich überlegt, was ich anziehen soll – aber eine Albe passt einfach nicht zu dieser Art von Gottesdienst“, sagt Pastor Matthias Lemme. In Jeans, Pullover und dunkelblauem Sakko lehnt er an einem Stehtisch vor der Ottensener Christianskirche, in der Hand einen Kaffee. Gerade hat er den ersten Gottesdienst des Tages und auch den ersten nach sieben Wochen Corona-Zwangspause gefeiert. Nein, eigentlich ist er noch gar nicht zu Ende, denn die Christiansgemeinde feiert an diesem Sonntag gleich einen ganzen Vormittag lang.

Vier Mal wird Matthias Lemme heute zum Gebet laden. Zu jeder vollen Stunde. „Immer das gleiche, damit die Leute nicht denken, sie wären hier auf dem Kirchentag und dann sitzenbleiben.“ Zwischen den Andachten geht der Gottesdienst weiter. In der Kirche mit Stille, Gebet und Innehalten und auf dem Kirchplatz mit Gesprächen und bunter Straßenkreide für die Kinder. An Sonntagen ohne soziale Beschränkungen kommen normalerweise 150 Menschen in den Gottesdienst. „Da feiern wir richtig mit allem, was die evangelische Liturgie hergibt“, erzählt Lemme.

Impressionen der Gottesdienste im Norden

„Jetzt üben wir uns eben eher im klösterlichen Tageszeitengebet“, sagt er mit einem Schmunzeln. Überhaupt scheint er richtig Spaß daran zu haben, neue Wege des Gottesdienstes auszuprobieren – die Zwangspause als Reset, um Platz zu machen für neue Ideen. „Diese Freiheit, noch mal nachdenken zu dürfen, was Kirche, was ein Gottesdienst eigentlich wirklich ist, ist doch auch total schön“, sagt er. So wie in der Christianskirche wird im ganzen Norden wieder Gottesdienst gefeiert – auf die besonderen Bedingungen mussten sich die Gemeinden vorbereiten.

Zwölf Menschen sind zur ersten Andacht um neun Uhr morgens erschienen. Sie sitzen mit großem Abstand, teils mit Masken, teils ohne in der barocken Kirche. Im vorderen Teil des Kirchenschiffs sind die Holzbänke ausgebaut worden. Auf der freigewordenen Fläche stehen mit großem Abstand ganz unterschiedliche Holzstühle. Direkt vor dem Altarraum liegt eine Yogamatte und ein Meditationskissen. Platz ist noch genug da. Aber es ist ja auch noch früh.

Nur die Vögel singen

Rund 20 Minuten dauert die Feier am Sonntag Cantate. Ein Fest für den Gesang, ohne Gesang. Denn der ist in geschlossenen Räumen wie einer Kirche nicht erlaubt. Dafür singen die Vögel vor den weit geöffneten Kirchentüren. Ihr Gezwitscher vermischt sich mit dem Rauschen des Verkehrs und dem Klavierspiel von Kantor Igor Zeller.

Große Diskussionen darüber, wie der erste Gottesdienst nach der Pause gefeiert werden sollte, habe es nicht gegeben, sagt Alexandra Dreyer vom Kirchengemeinderat. In den vergangenen Wochen gab es den Gottesdienst als Podcast auf die Ohren. „Für uns war es ganz naheliegend, das nun mit einer analogen Form zu ergänzen.“ Als dann die Erlaubnis kam, wieder Gottesdienste zu feiern, war schnell klar, dass er anders wird. „Was bringt es uns, wenn wir hier versuchen einen kastrierten Gottesdienst zu feiern – ohne zu singen, mit Abstand zueinander. Gottesdienste leben doch von der Freude und Lust“, sagt Lemme.

In Ribnitz spielten Bläser unter freiem Himmel

 

Weil außerdem noch immer nicht absehbar sei, wie lange das Coronavirus das Leben einschränken wird, war es der Christiansgemeinde wichtig, „eine Form zu finden, die man auch lange durchhalten kann“. Seinen Kaffee hat er inzwischen ausgetrunken und glättet die Kanten seines Pappbechers mit dem Fingernagel. Immer wieder kommen Gemeindemitglieder vorbei „Der Raum ist so schön geworden“, sagt eine Frau. „Danke, das hier ist unsere Heimat“, strahlt eine ältere Dame dankbar. Lemme muss sie daran hindern, ihm die Hand zu geben. Es ist leicht zu vergessen, dass immer noch Distanz gewahrt werden muss.

Inzwischen ist es kurz vor 10 Uhr. Der Gottesdienst geht weiter. Rund 30 Menschen sitzen bereits in den Bänken und Stühlen und warten. Pastor Lemme desinfiziert sich noch schnell die Hände und geht zurück in die Kirche. Dann beginnt er mit dem nächsten Gottesdienst.