Margot Käßmann: So feiere ich Weihnachten

Für die Luther-Botschafterin gehört zum Heiligabend das Weihnachtsoratorium genauso wie das Schmücken des Baums. Im Interview verrät sie außerdem, wann sie in den Ruhestand gehen will.

Margot Käßmann kommt zum interkulturellen Weihnachtsfest (Archivfoto)
Margot Käßmann kommt zum interkulturellen Weihnachtsfest (Archivfoto)Jens Schulze / epd

Hannover. Sie gehört aktuell zu den bekanntesten Gesichtern des deutschen Protestantismus. Mit einer eigenen Kolumne in der "Bild am Sonntag" kommt die Reformations-Botschafterin und ehemalige hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann ebenso zu Wort wie in religiösen Fachgremien. Trotz vorweihnachtlichen Trubels nahm sie sich Zeit für ein Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Frau Käßmann, der Advent gilt als stille Zeit. Auch bei Ihnen?
Margot Käßmann: Ich mag den Advent sehr, muss aber sagen, dass ich keinen einzigen Sonntag zu Hause war. Das erste Wochenende hatte ich Lesungen. Das zweite war ich auf der Synode in Wien. Das dritte verbrachte ich bei einer meiner Töchter. Und am vierten habe ich einen ZDF-Fernsehgottesdienst gehalten.
Wie sieht Ihr Heiligabend aus?
Mittlerweile halte ich selbst keine Gottesdienste mehr – nachdem ich 30 Jahre einen, wenn nicht zwei oder drei an Heiligabend hatte. Dieses Jahr kommen zwei meiner Töchter, eine mit Partner, und wir feiern zusammen.
Haben Sie da spezielle Rituale?
Heiligabend bleibt wie früher – auch wenn wir jetzt eine kleinere Gruppe sind. Ich lege das Weihnachtsoratorium auf, wir schmücken gemeinsam den Baum. Dann geht es in die Kirche. Danach Abendessen und Bescherung. Selbst als Erwachsene machen wir das noch so.
Wird bei Ihnen auch musiziert?
Nein. Wir werden aber singen. Wir haben zwar alle ein Instrument gelernt, aber es wird nicht so viel musiziert wie zum Beispiel bei meinen Geschwistern.
Haben Sie weihnachtliche Lieblingslieder?
Lieder von Jochen Klepper sind mir die liebsten. Und "Tochter Zion" ist für mich der Auftakt: Wenn das am 1. Advent gesungen wird, ist das so das Zeichen: Jetzt wird’s Advent.
Was verbinden Sie mit Paul Gerhardts "Wie soll ich dich empfangen?", bekannt aus Bachs Weihnachtsoratorium?
Da geht es um die Frage, was es für mich bedeutet, dass Gott in die Welt gekommen ist. Was hat das mit meinem Leben zu tun? Diese Frage stellt sich jeder Christ, jede Christin immer wieder – es ist die schwerste. Nicht nur zu Weihnachten.
Müssen wir mehr über unseren Glauben sprechen?
Ja, wir brauchen eine neue Sprachfähigkeit. Die Menschen haben so viele Fragen und trauen sich oft nicht, sie zu äußern. Ich finde, Zweifel gehören zum Glauben dazu. Ich würde mir wünschen, wir würden mehr Räume finden, darüber zu sprechen. Manche reden eher über ihre Sexualität als über ihren Glauben. Dort fehlen uns oft die Worte.
Wie kann man diese Sprachfähigkeit schaffen?
Mich haben als Studentin die Bauern im "Evangelium der Bauern von Solentiname" von Ernesto Cardenal fasziniert. Sie haben zu einem Bibelstück frei assoziiert, was ihnen das sagt. Das ist eine Unbefangenheit, die hilfreich ist. Es muss nicht immer exegetisch richtig sein. Allein durchs Nachdenken darüber bedeutet mir ein Text etwas.
Sprachfähigkeit bedeutet einerseits, die alten Texte zu haben. Über das Apostolische Glaubensbekenntnis etwa können wir sagen, "meine Güte, ist das alt", aber wenn wir versuchen würden, heute in 105 Worten für alle Christen gemeinsam zu sagen, was wir glauben – wir würden es nicht schaffen. Sprachfähigkeit heißt aber auch, den Glauben in eigenen Worten auszudrücken. Das bewundere ich bei den Reformatoren: die Fähigkeit, vom christlichen Glauben so zu sprechen, dass der "Mann auf der Straße" weiß, dass von ihm die Rede ist. Dass es um sein Leben geht. Wenn wir das wieder lernen, wäre das reformatorisch.
Wenn Sie jetzt nicht mal die 105 Worte bekommen, sondern nur einen einzigen Satz: Wie erklären Sie dann dem "Mann auf der Straße" verständlich die Reformation?
Die Reformation war ein Aufbruch aus der Angst, dass ich mein Leben nicht sinnvoll lebe – zur Freiheit, dass Gott meinem Leben Sinn gibt. Ich erlebe viele, die sagen: "Mein Leben macht keinen Sinn." Junge Frauen mit Essstörungen, Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, Kranke, einsame Alte. Depressionen nehmen zu, die Zahl der Suizidversuche steigt. In so einer Situation sagen: "Dein Leben macht längst Sinn", "Du bist was wert!" – wenn wir das vermitteln könnten, das würde helfen. Und wäre reformatorisch.
Was machen Sie, wenn das Reformationsjubiläum am 1. November 2017 vorbei ist?
Im Moment habe ich das Gefühl, mein Leben ist so schnell getaktet, quasi seit dem Abitur. Ich habe Kinder bekommen und Enkel, war Bischöfin, Ratsvorsitzende und anderes mehr. Am 3. Juni 2018 werde ich 60, da feiere ich ein schönes Fest und gehe in den Ruhestand. Manche Leute finden, der Ruhestand sei die "Haltestelle zum Friedhof". Aber ich finde das gar nicht. Ich freue mich darauf und werde mich garantiert nicht langweilen. (epd)