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LKA-Expertin: Cybergroomer manipulieren und erpressen ihre Opfer

Beim Cybergrooming nähern sich Täter über das Internet Kindern und Jugendlichen an, um sie zu sexuellen Handlungen zu bewegen. Gezielte Manipulation und Erpressung spielen dabei eine entscheidende Rolle, sagt Julia Kühl, beim Landeskriminalamt Hamburg im Bereich Kriminalprävention tätig. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) gibt sie Tipps, wie Eltern und pädagogische Fachkräfte Minderjährige vor Cybergrooming schützen können.

epd: Was ist Cybergrooming?

Julia Kühl: Beim Cybergrooming nehmen Täter online Kontakt zu Minderjährigen auf. Meistens täuschen sie dabei vor, jemand anderes zu sein, als sie sind. Sie behaupten beispielsweise, gleich alt zu sein wie das Kind, in der Nähe zu wohnen, ähnliche Vorlieben oder dieselben Probleme zu haben. Auf diese Weise schaffen sie eine Vertrauensbasis. Ihre Kontaktanbahnung hat aber nicht das Ziel, sich nur mit den Kindern auszutauschen, dahinter stecken ganz klar sexuelle Absichten. Und zwar sollen die Kinder und Jugendlichen dazu gebracht werden, intime Aufnahmen von sich zu senden oder vor laufender Kamera sexuelle Handlungen vorzunehmen.

epd: Wieso gehen Kinder und Jugendliche auf solche Forderungen ein?

Kühl: „Grooming“ ist das englische Wort für „Striegeln“. Metaphorisch ist damit das subtile Annähern an Kinder gemeint. Der Täter fängt ganz locker an, indem er den Kindern oder Jugendlichen zuhört. Viele von ihnen sind froh, dass sie auf diese Weise endlich einmal Gehör finden. Sie sehnen sich nach Aufmerksamkeit und Verständnis, was sie zu Hause vielleicht nicht bekommen. Indem da im Netz jemand ist, der ihnen regelmäßig zuhört, entsteht recht schnell eine erste Form der Abhängigkeit.

Irgendwann sagt der Täter dann Sätze wie: „Schick doch mal ein Bild von dir.“ Die Kinder möchten denjenigen, der so viel Verständnis für sie hat, dann häufig ungern vor den Kopf stoßen oder vergraulen und kommen der Bitte nach. Die Aufnahmen steigern sich dann häufig immer weiter in der Freizügigkeit und der Täter sammelt so mit der Zeit immer mehr und anzüglicheres Material. Das verstärkt die Abhängigkeit, denn damit macht sich das Kind angreifbar. Es bekommt Angst, der Täter könnte die Bilder oder Videos an andere weiterschicken, wofür sich das Kind dann schämen würde. Zugleich bekommt es Angst, sich jemandem anzuvertrauen. Die Spirale dreht sich immer weiter und wird immer krasser. Cybergrooming kann in seltenen Fällen sogar so weit führen, dass der Täter schließlich ein Treffen in Präsenz fordert.

epd: Heißt das, die Täter erpressen ihre Opfer – nach dem Motto: Sende mir mehr Bilder oder ich schicke die vorhandenen Motive an andere Personen weiter?

Kühl: Das passiert nicht selten. In vielen Fällen manipulieren Täter ihre Opfer allerdings so, dass diese freiwillig weitere Aufnahmen schicken.

epd: Wie viele Kinder und Jugendliche sind betroffen?

Kühl: Eine Befragung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen aus diesem Jahr zeigt, dass bereits ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland Cybergrooming erlebt hat. Jeder beziehungsweise jede sechste davon war unter 14 Jahre alt, also im Kindesalter.

epd: Welche Kinder und Jugendlichen sind besonders gefährdet?

Kühl: Grundsätzlich kann man sagen, dass es eher Kinder und Jugendliche trifft, die einen nicht so starken Rückhalt in der Familie haben. Die vielleicht psychische Probleme haben und sich in entsprechenden Internet-Foren bewegen, was für die Täter wiederum ein Indiz ist, dass diese Kinder möglicherweise vulnerabel sind und sich leicht in ein Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis bringen lassen könnten. Es gibt aber natürlich auch Ausnahmen.

epd: Sie sprachen von Foren. Über welche weiteren Online-Wege findet Cybergrooming statt?

Kühl: Die Täter gehen dahin, wo die Kinder sind. Und die Kinder sind heutzutage häufig auf den großen Online-Plattformen wie Youtube oder Twitch, in sozialen Netzwerken wie Tiktok oder Instagram, aber natürlich auch in der Online-Gaming-Welt anzutreffen, bei Spielen wie Fortnite oder auf der Spiele-Plattform Steam beispielsweise. Dort gehen die Täter auf die Kinder zu. Einige dieser Sachen sind öffentlich, weshalb die Täter ihre Opfer schnell von dort auf private Kommunikationskanäle wie die Messenger WhatsApp, Telegram oder Discord zu ziehen versuchen.

epd: Wer sind die Täter?

Kühl: Ganz grob lässt sich sagen, dass etwa 95 Prozent der Täter männlich sind. Das dürfte auch daran liegen, dass es beim Cybergrooming viel darum geht, Macht über andere Menschen auszuüben – was ein eher männliches Phänomen ist.

epd: Wie können Eltern und pädagogische Fachkräfte Heranwachsende vor Cybergrooming schützen?

Kühl: Eltern und Lehrkräfte müssen Kinder darauf vorbereiten, dass es Menschen gibt, die sich im Netz als jemand anderes ausgeben, als sie tatsächlich sind. Und dass diese Menschen meist keine guten Absichten haben. Dass sie einen manipulieren möchten, um nachher entweder auf erpresserische Weise an Inhalte zu erlangen oder um direkt in den sexuellen Austausch zu gehen.

Erziehungsverantwortliche sollten sich darüber hinaus dafür interessieren, was die Kinder in der Onlinewelt machen: Welche Plattformen nutzen sie, mit wem kommunizieren sie? Kindern sollten sie das Kommunizieren mit fremden Menschen klar untersagen. Jugendliche dürfen schon mal zu fremden Menschen Kontakt aufnehmen, müssen aber wissen, dass sie die Kommunikation sofort abzubrechen haben, wenn das Gespräch auf Sexualität gelenkt werden soll.

Eltern müssen ihrem Nachwuchs das Gefühl vermitteln, dass sie ein offenes Ohr haben – egal, wie unangenehm den Kindern ihre Themen sein mögen. Der Nachwuchs muss wissen: Wenn ich ein Problem habe oder wenn in der Onlinewelt etwas nicht richtig läuft, dann sind meine Eltern für mich der erste Ansprechpartner.

Weil sich viele Kinder und Jugendliche aber unwohl dabei fühlen, Themen aus dem Bereich Sexualität mit ihren Eltern zu besprechen, sollten diese vorsorglich auch den Hinweis geben, dass es Beratungsstellen gibt, an die sich die Kinder wenden können – die „Nummer gegen Kummer“ beispielsweise oder das „Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch“.

Ganz wichtig ist, dass die Erwachsenen nicht urteilen, sondern ihren Kindern das Gefühl geben: Ich werde ernst genommen. Ich darf andere Dinge interessant finden als die, die meine Eltern gutheißen.

Was nicht sein darf, ist, dass Kinder etwas nicht erzählen, weil sie Angst haben, ihre Eltern könnten ihnen ein Internetverbot aussprechen. Oder dass Kinder denken: Ich darf nicht mehr online spielen, weil ich unüberlegt auf eine Anfrage von einem Unbekannten geantwortet habe. Eltern sollten ihren Kindern vielmehr zu verstehen geben: Das ist nicht deine Schuld, und deshalb widerfährt dir auch keine Bestrafung.

epd: Sollten Eltern gelegentlich einen Blick in das Smartphone ihrer Kinder werfen und schauen, welche Inhalte der Nachwuchs postet oder auf dem Handy gespeichert hat? Oder wäre das ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre des Kindes?

Kühl: Das erste iPhone ist gerade mal knapp 20 Jahre alt, die jetzige Elterngeneration war also schon ziemlich gefestigt, als Smartphones auf den Markt kamen. Unsere Kinder dagegen sind es nicht. Deshalb ist es wichtig, dass wir sie in der digitalen Welt an die Hand nehmen – so wie wir es in der realen Welt auch tun. Natürlich sollten wir bei einem 17-Jährigen nicht heimlich alles lesen, was er mit seiner besten Freundin oder seinem besten Freund schreibt. Aber so, wie wir es in der realen Welt tun, so sollten wir auch in der digitalen Welt Dinge altersgerecht anpassen und auch einschränken. Es gibt viele technische Möglichkeiten, was man diesbezüglich machen kann, das sollten Erziehungsverantwortliche auch nutzen.

epd: Wo erhalten Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern und pädagogische Fachkräfte Informationen zum Thema Cybergrooming?

Kühl: Ich empfehle die Website internet-abc.de mit ihren drei Bereichen speziell für Kinder, Lehrkräfte und Eltern. Man klickt oben einen der drei Reiter an und kommt so zum gewünschten Bereich. Nach Eingabe des Wortes Cybergrooming in die Suchmaske erscheinen dann die jeweils passenden Informationen. Da gibt es Unterrichtsmaterialien für die Grundschule, die Pädagoginnen und Pädagogen anfordern können. Auch Elternbriefe gibt es dort sowie digitale Spiele für Kinder, die spielerisch auf Gefahren im Netz eingehen.