Von Ulrike Trautwein
Das Erntedankfest ist für mich eins der schönsten Feste, die wir im Kirchenjahr feiern. Es ist ein Fest für unsere Sinne. Wir sehen und riechen all die aufgebauten Köstlichkeiten. Wir können im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, was wir feiern. Wir feiern die vielen bunten Gaben, mit denen uns Gott beschenkt hat. Der Name des Festes ist Programm, auch diese Klarheit gefällt mir. Inmitten von all den irrwitzig vielen Gütern, die unser Leben bestimmen, beladen, belasten, steht ganz elementar: Erntedank. Wir danken für die Ernte, wir danken für das, was in Gärten und auf Feldern gewachsen ist. Wir freuen uns über Obst, Gemüse und Getreide. Wir danken für das tägliche Brot.Das ist eine heilsame Konzentration auf das Lebensnotwendige und steht in einem starken Kontrast zu unserem Alltag, leben wir in Deutschland ja vielmehr mit einem Überangebot an Nahrungsmitteln. Jeden Tag landen tonnenweise Lebensmittel im Müll. Das Leben in dieser beschleunigten, leistungsorientierten Gesellschaft trägt dazu bei, dass Menschen ihr Gefühl für den eigenen Körper verlieren. Wir essen zu viel oder zu wenig. Und Essen wird auf diese Weise zu einem Thema der Schuld: Wir werden schuldig an uns selber, weil wir den richtigen Umgang mit dem Essen nicht finden, schuldig an anderen, weil unser Luxus hier anderen Menschen auf der Welt das Leben kostet. Auch in unserer Stadt sind immer mehr Menschen auf Hilfsangebote durch „Laib und Seele“ oder die Tafel angewiesen. Wir sind gefangen in einem Kreislauf, der unseren Blick auf das Essen alles andere als unschuldig macht. Und es stellt sich die Frage: Wie finden wir einen Weg zwischen Lebenslust und Lebensernst?
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