Längst nicht alles „abgearbeitet“

Der Israelsonntag nimmt ein in vielfacher Hinsicht kompliziertes Verhältnis in den Blick, das seit Jahrzehnten auch viele christlich-jüdische Gesprächskreise beschäftigt.

Wie gehen Juden und Christen miteinander um? An diesem Verhältnis wird auch in vielen Gesprächskreisen gearbeitet.
Wie gehen Juden und Christen miteinander um? An diesem Verhältnis wird auch in vielen Gesprächskreisen gearbeitet.epd-bild/Christian Ditsch

Hannover. Jutta Guntau erinnert sich noch gut an die langen Diskussionen über die sogenannte Judenmission. Noch vor wenigen Jahren wähnte sich das Christentum in einer elitären Stellung, sagt die ehemalige Lehrerin. „Man sei der Überzeugung gewesen, dass der Bund, den Gott einst mit den Juden geschlossen hatte, aufgehoben und das Christentum an dessen Stelle getreten sei“, so Guntau weiter. Nach und nach habe sich allerdings die Anerkennung eines gleichberechtigten Verhältnisses durchgesetzt, das sich mittlerweile selbst in den Kirchenverfassungen niedergeschlagen habe.

Seit Jahrhunderten gehört das Judentum zu Deutschland

Einen großen Anteil an dieser Entwicklung hatten zahllose Gesprächskreise in Kirchengemeinden und Gemeindeglieder wie Jutta Guntau. Seit 24 Jahren engagiert sich die heute 67-Jährige in der Kirchengemeinde Petri-Nikodemus in Hannover. Der Kreis ist ein Jahr älter, seine Mitglieder und Gäste treffen sich seit der Gründung durch Bärbel Zimmer im Juni 1994 einmal im Monat.

Die Neugierde für jüdische Religion, Kultur und Tradition ließ Jutta Guntau immer weiter fragen und dranbleiben. Ein wichtiges Thema für die Deutsch-, Englisch- und Religionslehrerin sei vor allem die Aufarbeitung des Holocaust gewesen. Sie habe ihre Schüler über jüdische Friedhöfe geführt und an die Tradition jüdischen Lebens erinnert, erzählt Guntau. „Seit Jahrhunderten gehört das Judentum zu Deutschland.“

Theologie ohne Antisemitismen

Die kirchlichen Kreise, Vereine und Gesellschaften, die sich dem christlich-jüdischen Dialog widmen, halten ein Bewusstsein wach. Und dies scheint angesichts eines wieder zunehmenden Antisemitismus nötiger denn je. „Es gibt Studien, die belegen, dass sogar 40 Prozent der Bevölkerung antisemitische Einstellungen haben“, sagt Pastorin Ursula Rudnick. Die Professorin ist Referentin für Kirche und Judentum in der hannoverschen Landeskirche und lehrt an der Leibniz-Universität in Hannover. „Vor 15 Jahren gab es eine Phase, da meinten wir, alles abgearbeitet zu haben“, so Rudnick weiter. Doch es gebe immer wieder neue Herausforderungen, wie zum Beispiel Luthers Judenfeindschaft. Die Themen des christlich-jüdischen Gesprächs müssten daher in der Ausbildung von Theologen noch mehr vertieft werden, fordert Rudnick.

Der Israelsonntag, der elf Wochen nach Pfingsten gefeiert wird, zeigt die Wegmarken des schwierigen Verhältnisses von Juden und Christen auf und das Ringen um eine Theologie, die frei ist von Antisemitismen. Am Israelsonntag ab 10 Uhr feiert die Kirchengemeinde in Kleefeld auch ihren Gesprächskreis. Zu Gast sind unter anderem Ursula Rudnick und Gabor Lengyel, der Rabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hannover. Thema ist das höchste Gebot: die Nächstenliebe – im Judentum wie im Christentum.