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Kunst zwischen den Welten

August Macke schien nicht zufrieden mit den Ergebnissen seiner künstlerischen Arbeit. „Der Sommer ist so dahingegangen und hat wenig gebracht“, schrieb er 1912. Jetzt fühle er sich „so reiselustig, so ausgehungert nach Unternehmungen und interessanten Dingen, wie ich es selten war“. Der Wunsch nach Reisen als Inspirationen für sein künstlerisches Schaffen erfüllte sich im April 1914. Zusammen mit seinen Kollegen Paul Klee und Louis Moilliet brach Macke nach Nordafrika, nach Tunis, auf.

Die legendäre Reise steht ab Donnerstag im Mittelpunkt der Ausstellung „Heimweh nach neuen Dingen. Reisen für die Kunst“ im Kunstmuseum Bonn. Zugleich ist die Tunis-Reise Ausgangspunkt für einen Parcours durch die Entwicklung des künstlerischen Reisens bis in die Gegenwart. Denn rund 110 Jahre nach des berühmten Tunis-Aufenthalts von Macke, Klee und Moilliet haben sich die künstlerischen Perspektiven auf andere Kulturen grundsätzlich verändert. Das verdeutlicht die Ausstellung bis zum 7. September mit rund 100 Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Fotografien, Textil-, Keramik- und Videoarbeiten von 19 Künstlerinnen und Künstlern.

Anfang des 20. Jahrhunderts sei der Blick auf fremde Länder noch stark von der Faszination für das Exotische geprägt gewesen, ohne die kolonialen Strukturen zu hinterfragen, erklärt Kuratorin Barbara Scheuermann. Macke und seine Freunde suchten in Tunis Inspiration für die Weiterentwicklung ihrer Kunst. Mit Erfolg: Macke hielt die farbenfrohen Märkte und weißen Häuser in leuchtenden Aquarellen und Gemälden fest. Die Farbe tritt endgültig in den Vordergrund. In Gemälden wie „Türkischer Schmuckhändler“ deutet sich der Weg in die Abstraktion an. Für Klee gilt die Reise gar als Wendepunkt in seiner Kunst. „Die Farbe hat mich“, notierte er nach der Rückkehr.

Die drei Tunis-Reisenden waren allerdings nicht die ersten Künstler, die in Nordafrika Inspiration suchten. Das Künstlerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky hielt sich 1905 in Tunis auf. Münter fing Eindrücke mit ihrer Kamera ein, etwa Straßenszenen und ornamentale Formen islamischer Architektur. Diese Motive flossen später auch in ihre Malerei ein.

Die Avantgarde-Künstlerinnen und -Künstler betrachteten die Fremde als künstlerisch inspirierend, bewahrten aber zugleich einen distanzierten Blick von außen. Das änderte sich mit dem Ende der Kolonialzeit und den gesellschaftlichen Umbrüchen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab den 1960er und 1970er Jahren seien Reisen in ferne Länder nicht mehr nur als ästhetische Inspiration, sondern als Möglichkeit zur Selbstfindung oder gar kulturellen Erneuerung begriffen worden, erklärt Scheuermann.

Sigmar Polke etwa reiste in den frühen 1970er Jahren mit zwei Freunden im Auto durch Afghanistan und Pakistan und machte dabei das Fremdsein zum Thema. Er fotografierte Menschen in Basaren, auf der Straße, in Opiumhöhlen und machte Nahaufnahmen Einheimischer. Später verfremdete er die Fotografien mit chemischen und malerischen Mitteln, so dass sie zwischen Dokumentation und Halluzination oszillieren.

Ähnlich wie die drei Tunis-Reisenden Anfang des 20. Jahrhunderts bewirkte eine Nordafrika-Reise Anfang der 1970er Jahre im Werk des Kölner Künstlers Michael Buthe eine Farbexplosion. Während er zuvor minimalistisch mit weißen Stofffetzen gearbeitet hatte, quellen seine Bilder und Installationen durch die Reiseeindrücke über von Farben und Ornamenten. Während die Avantgarde-Künstler der fremden Kultur distanziert gegenüberstanden, wurde Marokko für Buthe zur zweiten Heimat. Seine Verbundenheit mit der nordafrikanischen Kultur diente nicht nur der künstlerischen, sondern auch der spirituellen Suche.

In der heutigen Zeit der Globalisierung ist freiwilliges oder unfreiwilliges Leben in der Fremde für viele Menschen eine existenzielle Realität. Das Leben zwischen den Welten ist als künstlerisches Thema in den Vordergrund getreten. Der 1984 in Syrien geborene Künstler Manaf Halbouni, der seit 2009 in Deutschland lebt, verdeutlicht in seinen Arbeiten die eurozentristische Perspektive auf die Welt, indem er sie umkehrt. Er entwirft unter anderem Landkarten, die eine arabische Kolonialisierung Europas imaginieren. Die 1978 in Tunis geborene und heute in Berlin lebende Künstlerin Nadia Kaabi-Linke thematisiert in ihrer Videoarbeit „Featuring…“ ihre Rückkehr an den vertrauten Geburtsort, an dem sie dennoch fremd ist.

Die Ausstellung präsentiert außerdem Arbeiten von Yto Barrada, Lothar Baumgarten, Joseph Beuys, Ernst Isselmann, Mohamed Hameda und Abir Ben Ali, Peter Piller, Haleh Redjaian, Ulrike Rosenbach und Hamid Zénati.