Künstlerin zeigt Schönheit von Menschen mit Behinderung

In außergewöhnlichen Bildern inszeniert die Fotokünstlerin Julia Krahn behinderte Menschen. In der Wanderausstellung „SchönerHeit“ sind die Ergebnisse zu bestaunen.

Das ungewöhnliche Fotoshooting fand in der Kapelle des hannoverschen Henriettenstiftes statt
Das ungewöhnliche Fotoshooting fand in der Kapelle des hannoverschen Henriettenstiftes stattMarcel Domeier © Anna von Borries Stiftung

von Charlotte Morgenthal

Bremerhaven/Hannover. Der Rollstuhl von Thorsten Föllmer steht nur wenige Meter vom Fotoshooting entfernt. Er selbst kniet auf einem Tierfell, nur mit einem Tuch bedeckt. Auf seinen nackten Rücken sind Federn geklebt, die ihn kitzeln. Insgesamt zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung in Hannover haben sich vor die Kamera der Fotokünstlerin Julia Krahn gewagt. In eindrücklichen Bildern haben sie das "Hohelied Salomos" aus der Bibel mit seinem zärtlichen und teilweise auch erotischen Inhalt inszeniert. Die Ergebnisse sind werden zwischen dem 28. August und dem 22. September in der Wanderausstellung "SchönerHeit" in der Bremerhavener Kulturkirche zu sehen.

Vor drei Jahren fand Das ungewöhnliche Fotoshooting fand in der Kapelle des hannoverschen Henriettenstiftes statt Entstanden sind 26 Aufnahmen, die erstmals zwischen Mai und Juni in Göttingen gezeigt wurden. In den kommenden Monaten sind sie zudem in Hildesheim, Verden und Hannover zu sehen.

Biblische Texte als Vorlage

In einer Szenerie stellt Föllmer den Mann dar, der zu seiner Geliebten aufschaut. "Schön bist du, meine Freundin. Zwei Tauben sind Deine Augen", heißt es in dem biblischen Text. Auf dem mit Moos dekorierten Altarstein über ihm liegt in weiße Tücher gewickelt Sabrina Schmidt und lächelt versonnen. Um ihren Kopf trägt sie eine Krone aus Federn.

Der Kirchenraum ist extra mit zahlreichen Scheinwerfern in sanftes, warmes Licht getaucht. Ein einziger Kamerablitz könnte bei beiden Fotomodellen eine Spastik auslösen. In der Stille ist oft nur das Klicken der Kamera zu hören. "Wunderschön", sagt Fotografin Krahn dann. Über die Gesichter ihrer beiden Fotomodelle huscht ein stolzes Lächeln.

Gängige Schönheitsideale hinterfragen

Die in Italien lebende und international ausgezeichnete Fotografin hat für dieses Projekt erstmals mit behinderten Menschen zusammengearbeitet. "Ich möchte an der Schönheit und Fröhlichkeit arbeiten, die ich in ihnen sehe", sagt Krahn. Ziel der Arbeit sei auch, das gängige Schönheitsideal zu hinterfragen. "Die Leute sollen sehen, dass es Menschen sind, und erst auf den zweiten Blick die Krankheit erkennen."

Mit jedem ihrer körperlich behinderten Fotomodelle hat Krahn vorher ausführlich über die Textstellen gesprochen, und gemeinsam haben sie die jeweilige Szene entwickelt. Zunächst fotografierte Krahn mit einer Digital- oder Polaroidkamera, damit sie das Ergebnis ihren Fotomodellen direkt zeigen konnte. Erst danach entstanden auf Filmrollen die endgültigen Aufnahmen für die Ausstellung, die sie später entwickeln ließ.

Alle Projektteilnehmer leben in Einrichtungen des diakonischen Annastiftes, dem größten Rehabilitationszentrum für körperbehinderte Menschen in Niedersachsen. Für die Bewohner sei es wichtig gewesen, einmal nicht wegen ihrer Behinderung wahrgenommen zu werden, sagte Geschäftsführer Ulrich Spielmann. Bis heute müssten sie um ihre gesellschaftliche Anerkennung kämpfen. "Die Fotografien zeigen uns die einzelnen Menschen, ohne sie zur Schau zu stellen." Gefördert wurde das Projekt von der Anna-von-Borries-Stiftung und der Hanns-Lilje-Stiftung.

Während der Aufnahmen erzählt Sabrina Schmidt, dass sie schon immer einmal Fotomodell sein wollte. Fotografin Krahn drapiert währenddessen Moos um ihren Körper. "Darf ich?", fragt die Fotografin. Schmidt nickt selbstsicher, und Krahn lüftet die Tücher. Für die Darstellung des innigen Liebespaares zeigt sie sich mit nacktem Oberkörper.

Zu der Ausstellung ist auch ein 112 Seiten umfassender Katalog entstanden. Darin hat Schmidt selbst rückblickend nur einen Satz geschrieben: "Das sieht so real aus, ich bin überwältigt." Und Föllmer ergänzt: "Wenn ich das Bild jetzt sehe, dann stelle ich fest, dass es ganz wichtig für mich war und dass sich das gelohnt, wirklich gelohnt hat." (epd)