Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) will bei ihrer Generalversammlung vom 14. bis 23. Oktober in Thailand neue Impulse für Glauben und gesellschaftliches Engagement setzen. „Angesichts vieler Krisen und Ungerechtigkeiten ist es entscheidend, als Christen offen für Gottes Weckruf zu sein und konkrete Veränderungen anzustoßen“, sagte der aus Ghana stammende langjährige WGRK-Generalsekretär Setri Nyomi in Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die christliche Gemeinschaft verbindet 230 Mitgliedskirchen mit mehr als 100 Millionen Christinnen und Christen.
epd: Herr Nyomi, was erwarten Sie von der Generalversammlung in Thailand mit Delegierten aus mehr als 100 Ländern?
Setri Nyomi: Wir versammeln uns unter dem Motto „Beharrlichkeit im Zeugnis“. Angesichts vieler Krisen und Ungerechtigkeiten ist es entscheidend, als Christen offen für Gottes Weckruf zu sein und konkrete Veränderungen anzustoßen. Wir wünschen uns, dass diese Generalversammlung, die nur etwa alle sieben Jahre stattfindet, als Orientierungspunkt für unsere weltweite Gemeinschaft dient – und bitten um das Gebet aller Mitglieder und Freunde.
epd: Welche globalen Herausforderungen werden das Treffen bestimmen?
Nyomi: Wir können aktuelle Krisen wie Klimawandel, Ungerechtigkeit und Konflikte nicht ausblenden – sie stehen im Mittelpunkt unserer Beratungen. Seit den 1980er Jahren engagieren wir uns intensiv für Klimagerechtigkeit, und soziale Gerechtigkeit bleibt für uns ein zentrales Thema.
epd: Wird auch der Nahostkonflikt bei der Generalversammlung diskutiert?
Nyomi: Ja, die Situation im Nahen Osten ist uns ein großes Anliegen. Das Leid und die Zerstörung nach dem 7. Oktober 2023 dürfen nicht übersehen werden. Wir werden deshalb kritisch reflektieren, was Gott uns angesichts dieser Herausforderungen aufträgt.
epd: Auf der 24. Generalversammlung des Reformierten Weltbundes – heute die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen – in Accra, Ghana, wurde das Bekenntnis von Accra verabschiedet. Der Text ist umstritten, vor allem wegen seiner scharfen Kritik an einer ungerechten globalen Wirtschaft. Wird das Dokument weiterentwickelt?
Nyomi: Das Accra-Bekenntnis ist für uns Referenzpunkt und Glaubensfundament. Anlässlich seines 20-jährigen Jubiläums entstand die Ergänzung „Accra+20“. Dabei geht es nicht um eine neue Erklärung, sondern um eine Vertiefung. Ein Glaubensbekenntnis muss hinterfragt und diskutiert werden – jede Zeit setzt eigene Schwerpunkte. Dennoch bleibt das Accra-Bekenntnis für uns ein Geschenk.
epd: Welche Reaktionen haben Sie auf das Accra-Bekenntnis erhalten?
Nyomi: Unmittelbar nach der Veröffentlichung erhielten wir sehr viele Rückmeldungen. Ein großer Teil davon kam von Kirchen im globalen Süden, die sehr positiv darauf reagierten und betonten, wie wichtig solche Impulse seien. Es gab aber auch kritische Stimmen, vor allem aus dem globalen Norden und aus Europa, die sich an bestimmten Formulierungen störten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Begriff „Imperium“.
epd: Der Begriff „Imperium“ („Empire“) wird hier für ein weltweites, ungerechtes System verwendet, in dem politische, wirtschaftliche und militärische Mächte allein zu ihrem eigenen Vorteil handeln. Hat sich im Lauf der Jahre die Sichtweise auf das Accra-Bekenntnis verändert?
Nyomi: Besonders zwischen 2008 und 2010 – ausgelöst durch die globale Finanzkrise – begann sich die Sichtweise zu ändern. Viele Kirchen, selbst im Norden, kamen auf uns zu und sagten: Ist das nicht das, was ihr vorhergesagt habt? Mitgliedskirchen in Deutschland und Südafrika haben das Accra-Bekenntnis in Konsultationen ebenfalls positiv bewertet. Im Laufe der Zeit hat sich die überwiegende Mehrheit der Kirchen dazu bekannt, auch wenn immer wieder Details oder Begriffe kritisch diskutiert werden.
epd: Welche Bedeutung hat das Accra-Bekenntnis für die weltweite Ökumene?
Nyomi: Auch andere Kirchen haben das Bekenntnis übernommen und gewürdigt. Seit 2012 arbeiten wir gemeinsam mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen, dem Rat für Weltmission, den Methodisten und dem Lutherischen Weltbund an Initiativen für eine gerechtere internationale Finanz- und Wirtschaftsordnung.
epd: Sind reformierte Christen führend beim Einsatz gegen soziale Missstände?
Nyomi: Unser Selbstverständnis ist, engagiert und klar Position zu beziehen – ohne uns selbst zu loben. Schon zu Beginn unseres Bestehens im 19. Jahrhundert haben wir deutliche Stellung gegen Kolonialismus bezogen. Bis heute setzen wir uns für Gerechtigkeit und Menschenwürde ein, doch ob wir Vorbilder sind, müssen andere beurteilen.
epd: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit anderen Kirchen?
Nyomi: Wir arbeiten eng mit anderen christlichen Weltbünden zusammen und fördern nicht nur soziale Themen, sondern auch die Einheit der Christen. Wir sind offen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit – als Teil von Gottes Plan.
epd: Gibt es Veränderungen im Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche, insbesondere unter Papst Leo XIV.?
Nyomi: Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren laufen intensive Dialoge. Wir fühlen uns durch die aktuellen Äußerungen von Papst Leo XIV. in unserem Kurs bestärkt und freuen uns auf weitere Kooperation, etwa zum Thema Klimagerechtigkeit.
epd: Warum wurde Chiang Mai in Thailand als Tagungsort gewählt?
Nyomi: Die Kirche Christi in Thailand hat uns eingeladen – sie ist zwar klein, aber sehr engagiert. Unser Besuch wird von Behörden und der buddhistischen Mehrheit in Thailand offen begrüßt. Interreligiöse Zusammenarbeit wird hier gelebt und wir erwarten eine inspirierende Versammlung.
epd: Gab es Bedenken, in einem überwiegend buddhistischen Land zu tagen?
Nyomi: Nein, im Gegenteil. Die christliche Minderheit pflegt sehr gute Beziehungen zu den buddhistischen Gemeinden. Dies ist das zweite Mal, dass wir nach Asien gehen. 1989 waren wir in Südkorea. Auch dort gab es keinen christlichen Mehrheitskontext, aber es war eine gute Generalversammlung – daher erwarten wir auch diesmal eine gelungene Versammlung.