Karate und Kirche – das passt zusammen!

Martin Klatt ist Karate-Meister und Pastor am Lübecker Dom. Zwischen dem Kampfsport und dem Glauben sieht er viele Parallelen – und hat auch die Bibel neu gelesen.

Martin Klatt ist Karate-Meister und Pastor am Lübecker Dom
Martin Klatt ist Karate-Meister und Pastor am Lübecker DomPrivat

Lübeck. „Ziel ist es, wenn nötig mit einer einzigen Technik einen Angreifer auszuschalten“, sagt Martin Klatt über Karate. Die Wurzeln der waffenlosen Selbstverteidigung aus Japan reichen weit zurück. Frei übersetzt heißt Karate „der Weg der leeren Hand“. Martin Klatt hat den vierten Dan – den vierten Meistergrad – und lernt durch das Üben auch für seinen Beruf. Er ist Pastor am Lübecker Dom.
Die Kampfkunst Karate begleitet ihn während seines gesamten Berufslebens. Zu Beginn des Vikariats in Neumünster vor 26 Jahren ist er über eine Kleinanzeige in der Zeitung auf eine neue Gruppe gestoßen. Er war neugierig, ging hin und blieb. „Ich wusste nach der ersten Stunde: Das ist es“, erinnert sich Klatt.
Immer wieder ist er gefragt worden, wie er als Theologe das Ziel von Karate mit dem Gebot der Feindesliebe zusammenbringen kann. „Darüber habe ich viel nachgedacht und auch die Bibel neu gelesen“, sagt er. Die Geschichte von Kain und Abel etwa: Die Brüder stehen für die erste Menschengeneration nach Adam und Eva. An ihnen wird ein Wesenszug der Menschheit beschrieben. „Die Möglichkeit, einen Menschen zu töten, liegt in jedem. Wer damit umgehen will, muss es ansehen. Der Umgang im Karate damit ist geradezu genial“, sagt Klatt und erklärt, worum es dabei geht: „Den Abgrund der Aggression anschauen, trainieren – und kontrollieren lernen.“

Training ist nicht nur Spaß

„Der erste Gegner, dem man beim Karate begegnet, ist man selbst.“ Das Training sei nicht immer Spaß, die Fortschritte blieben zeitweilig aus. Stillstand und Frustration auszuhalten und dranzubleiben, habe ihn weitergebracht. „Nicht die Geduld verlieren. Diese Erfahrung habe ich auch im Glaubensleben gemacht“, zieht Martin Klatt eine Parallele. Damit ist er nicht allein – ein Bruder aus Taizé sagte ihm bei einem Besuch, auch er ginge manchmal nur zum Gebet, weil es jetzt eben Zeit sei.
„Kihon“ ist eine der drei Säulen des Karate. Es beschreibt die Grundlagen, die Bewegungen werden durch Wiederholung geübt, um sie zu verbessern. „Die Konzentration auf die Übungen bringt mir einen freien Kopf und im Anschluss die totale Entspannung“, sagt Martin Klatt.
„Kata“ heißt die zweite Säule des Karate. Kata ist Kampf, aber hier sind die angreifenden Gegner unsichtbar in der Vorstellung des Karateka präsent. „Kumite“, die dritte Säule des Karate, ist der richtige Kampf. „Wir kämpfen mit voller Energie, aber auch mit voller Kontrolle“, sagt Martin Klatt. „Einen Zentimeter vor dem Kinn endet der Schlag.“ Vertrauen in den Partner ist existenziell.

Das Bibel-Bild der linken Wange

Im echten Leben hat es bislang nur eine Situation gegeben, in der sich Martin Klatt so sehr bedroht fühlte, dass er kurz darüber nachgedacht hat, Karate anzuwenden. „Aber im selben Moment hat mich das Wissen um mein Können beruhigt, gestärkt und überlegen gemacht“, sagt er. „Jeder vermiedene Kampf ist ein gewonnener Kampf.“
In der Bibel findet sich ein Bild, das vor diesem Hintergrund noch einmal neu gelesen werden kann: Die andere Wange hinhalten. Jesus fordert im Matthäus-Evangelium „Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“. Trotz Provokation und körperlicher Bedrängnis weder zurückzuschlagen noch die Flucht zu ergreifen, zeugt von Stärke. Von Respekt vor dem Gegner, aber auch vor sich selbst.

Wie Karate den Pastor verändert hat

Diese Haltung strahlt auch nach außen. „Es ist schwierig, das in Worte zu fassen. Freunde haben mich kurze Zeit nach meinem Trainingsbeginn angesprochen, dass an mir etwas anders sei“, so Klatt. „Ich nenne das eine Form von freischwebender Aufmerksamkeit.“ Er nimmt wahr, was um ihn herum geschieht. „Trotz dieser inneren Bereitschaft bin ich entspannt.“ Diese Geistesgegenwärtigkeit nimmt er auch mit in den Dom zu Lübeck. Ganz gleich, ob im großen Sonntagsgottesdienst oder während einer Taizé-Andacht – Martin Klatt nimmt wahr, was im Raum ist, und kann darauf reagieren.
Das immerwährende Einüben, die Konzentration auf die Feinheiten, die innere Haltung und die entspannte Wachheit sind es, die für Martin Klatt zählen. „Auf diesem Weg gehe ich weiter. Der Weg von Karate ist für jeden ein eigener, unabhängig von der Bewertung durch andere. So wie der Weg mit Gott und zu Gott auch.“