Justizminister Maas: „Die schweigende Mehrheit darf nicht länger schweigen“

Bundesjustizminister Maas hat kein Problem mit Vollverschleierung von Frauen. Im Interview spricht er sich außerdem gegen ein Demonstrationsverbot für Pegida aus und fordert eine andere Reaktion.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich in diesem Jahr wiederholt gegen Rechtsradikale eingesetzt
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich in diesem Jahr wiederholt gegen Rechtsradikale eingesetztJürgen Blume / epd

Mit deutlichen Worten hat sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in diesem Jahr wiederholt gegen Rechtsradikale gewandt. Bei seiner Initiative gegen Hass im Netz legte er sich zudem mit großen Internetkonzernen an. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt er, was er von der Justiz bei der Verfolgung rechter Täter erwartet und warum er glaubt, dass man auch 2016 weiter "hässliche" Parolen auf "Pegida"-Demonstrationen hinnehmen muss.
Herr Minister, die Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte haben in diesem Jahr einen erschreckenden Rekord erreicht. Kippt das gesellschaftliche Klima in Deutschland?
Maas: Was da passiert, ist mehr als bedenklich. Jeder dieser Angriffe ist eine Attacke auf unsere Grundwerte. Auch in den sozialen Netzwerken stellen wir eine wachsende verbale Radikalität fest. Erst fallen die Hemmschwellen bei den Worten, anschließend folgen die Taten. Gegen diese besorgniserregende Entwicklung müssen der Rechtsstaat und die gesamte Gesellschaft mit aller Kraft vorgehen. Insofern: Wir müssen alle unseren Teil dazu beitragen, dass das Klima nicht kippt. Hoffnung macht, dass es so viele Menschen gibt, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzen. Sie alle setzen ein Zeichen der Zuversicht.
Auch die sind Anfeindungen ausgesetzt. Überrascht Sie der Hass?
Ich befürchte, was jetzt an Verbalradikalismus zu Tage tritt, ist nicht neu entstanden, sondern leider schon latent in unserer Gesellschaft vorhanden gewesen. Er äußert sich unverhohlener. Der radikale Hass sollte uns Ansporn sein, noch entschlossener für unsere Freiheit einzutreten.
Viele Taten, wenig verurteilte Täter – sind Sie zufrieden mit der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden?
Es gibt viele Verfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, in denen also noch ermittelt wird. Man muss einfach sehen, dass in diesem Jahr leider viel geschehen ist und die Staatsanwaltschaften in den Ländern extrem damit beschäftigt sind, diese Verfahren abzuarbeiten. Ich bin mir sicher: Polizei und Justiz werden alles tun, um die Aufklärungsquoten zu erhöhen. Die Täter müssen konsequent ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden.
Im Frühjahr hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, wonach Straftaten aus fremdenfeindlichen Motiven nun schärfer geahndet werden. Hat sich der Paragraf bereits bemerkbar gemacht?
Wir haben eine ausdrückliche Regelung geschaffen, damit rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive bei der Strafzumessung stärker berücksichtigt werden können. Das war eine Konsequenz, die wir aus den NSU-Morden gezogen haben. Dadurch müssen diese Motive bereits bei den Ermittlungen eine Rolle spielen. Ich gehe davon aus, dass das auch bei den Gerichten angepackt wird.
Braucht es bei den Strafverfolgungsbehörden stärkere Spezialisierungen auch beim Thema Hasskriminalität?
Es gibt einige Initiativen, diese Dinge in einzelnen Staatsanwaltschaften zusammenzubinden. Wichtig ist: Bei Hasskriminalität darf es keinerlei Toleranz geben. Die Verfahren sollten so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Wie die Länder das am besten organisieren, dafür sind sie vor Ort zuständig.
Müsste der Rechtsstaat bei Volksverhetzung nicht noch deutlichere Zeichen setzen?
Den Missbrauch der Meinungsfreiheit darf niemand tatenlos hinnehmen. Für die Aufstachelung zum Hass, Gewaltaufrufe oder die Billigung von Straftaten darf bei uns kein Platz sein. Das gehört weder ins Internet noch auf den Marktplatz, sondern vor einen Richter. Wenn die Grenzen zur Straftat überschritten sind, muss die Justiz dagegen sehr entschieden vorgehen. Und das tut sie auch immer stärker.
Wo findet das grundgesetzlich geschützte Recht auf Demonstrationsrecht ein Ende?
Das Demonstrationsrecht als kollektive Ausformung der Meinungsfreiheit geht sehr weit. Man muss ertragen, was bei "Pegida" oder auf anderen Demonstrationen geschieht, auch wenn es hässlich ist. Wenn aber auf solchen Demonstrationen mit Äußerungen, Plakaten oder Symbolen die Grenzen der Strafbarkeit überschritten werden, muss das verfolgt werden. Selbst wenn Einzelne sich strafbar machen, kann nicht zwingend die ganze Demonstration verboten werden. Und: Mit einem Verbot der Demonstration wäre es längst noch nicht getan. Es würde zwar diese Veranstaltung stoppen. Der Hass der Menschen wäre aber leider noch immer da.
Kürzlich haben sie gemeinsam mit Facebook und anderen die ersten Ergebnisse der Task Force gegen Hass im Netz vorgestellt. Wie geht es damit weiter?
Es ist ein wichtiger Schritt, dass Unternehmen wie Facebook, Google oder Twitter sich bereit erklärt haben, Hasskriminalität innerhalb von 24 Stunden aus dem Netz zu entfernen. Trotzdem ist die Arbeit in der Task Force erst am Anfang. Wir werden prüfen, ob die Unternehmen sich an ihre Zusagen halten. Und wir müssen auch sagen: Die Hasskommentare stammen nicht von den Mitarbeitern der Unternehmen, sondern von unseren Nachbarn. Insgesamt bleibt das natürlich ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Wo muss noch mehr passieren?
Dieses Problem geht jeden Einzelnen an. Wenn sich Fremdenfeindlichkeit artikuliert, dann muss es Gegenreaktionen geben. Die schweigende Mehrheit darf nicht länger schweigen. Dafür muss man keine Regierungserklärung abgeben. Das findet in der Kneipe statt, auf dem Fußballplatz, am Arbeitsplatz. Nirgends dürfen wir den Brandstiftern das Feld überlassen. Wir alle müssen öfter mal den Mund aufmachen und Haltung zeigen, als es in unserer Wohlstandsgesellschaft heute manchmal der Fall ist.
Bei der Integration von Flüchtlingen rückt die Rolle der Muslime, die schon lange in Deutschland sind, stärker in den Fokus. Drängt die Zeit, die muslimischen Verbände den Kirchen gleichzustellen?
Integration ist mit Blick auf die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, wichtiger als je zuvor. Die Möglichkeiten, die das Grundgesetz den Religionsgemeinschaften bietet, stehen nicht nur den christlichen Kirchen, sondern auch den Muslimen offen. Staatsverträge könnten ein wichtiger Schritt sein, um den Platz des Islam in der Mitte unserer Gesellschaft zu stärken. So könnten wir etwa die Ausbildung islamischer Theologen an deutschen Universitäten noch breiter regeln. Das wäre doch besser als wenn der Unterricht in Hinterhof-Moscheen durch Imame geschieht, die möglicherweise ganz andere Vorstellungen von Grundrechten haben als wir.
Woran scheitert in Ihren Augen denn die Anerkennung? Sträuben sich die Verantwortlichen in den Ländern oder verhindern die muslimischen Verbände das?
Den muslimischen Verbänden stehen alle Rechte offen, aber sie haben eine Bringschuld. Damit der Staat Verträge schließen kann, müssen sich die Muslime noch besser mitgliedschaftlich organisieren. In der jetzigen Situation haben sie eine besondere Verantwortung. Es ist ein Missbrauch des Islam, wenn in seinem Namen gemordet wird. Fundamentalistische Auswüchse dürfen in keiner Gemeinde verharmlost werden.
Wie sehr brauchen wir neben der formellen Anerkennung eine Debatte über das Verhältnis des Islam zur Gesellschaft in Deutschland?
Der Dialog ist insbesondere mit Blick auf die Flüchtlingsdebatte äußerst wichtig, auch um klarzumachen: Es gibt bei uns die Religionsfreiheit und die gilt für alle Religionen. Freiheit ist immer gleiche Freiheit. Durch den Dialog zwischen den Religionen werden wir mehr übereinander erfahren. Je weniger wir uns mit dem vermeintlich Fremden auseinandersetzen, desto größer werden die Ängste. Ressentiments und Vorurteile gegen Flüchtlinge sind oft dort am größten, wo der Ausländeranteil am geringsten ist. Niemand in Deutschland muss Angst haben vor einer sogenannten Islamisierung des Abendlandes, erst recht nicht in Sachsen.
Um ein konkretes Beispiel zu machen: Die CDU hat auf ihrem Parteitag ihre Ablehnung der Vollverschleierung von Frauen bekräftigt. Wie halten Sie es damit?
Ich bin dagegen, einzelne Themen zu dramatisieren. Sicherlich muss man in den muslimischen Gemeinden deutlich sagen, dass bei uns jede Einzelne selbst eine Entscheidung treffen kann, wie sie sich der Öffentlichkeit zeigt. Solange das der Fall ist, habe ich kein Problem damit, wenn jemand ein Kopftuch trägt oder sich verschleiert. Wo aber jemand dazu genötigt wird, ist die Grenze überschritten. Völlig unabhängig davon gibt es aber auch andere Religionen, die in Deutschland weit verbreitet sind, deren Werte oder Regeln der ein oder andere inzwischen als befremdlich empfindet.
Wo sehen Sie zum Beispiel Reformbedarf?
Man kann schon darüber reden, ob es im kirchlichen Arbeitsrecht nicht weiter Modernisierungsbedarf gibt. Natürlich sollen die Kirchen ihren Glauben frei praktizieren können, solange die Grundrechte gewahrt bleiben. Homosexuellen eine Beschäftigung wegen ihrer sexuellen Orientierung zu verwehren, darüber sollten die Kirchen allerdings dringend mal nachdenken. Grundsätzlich tut sich die Kirche keinen Gefallen, wenn sie bestimmte gesellschaftliche Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt. (epd)