Jule, das Weihnachtsschaf

Sie kommen aus Versuchslaboren oder von überforderten Besitzern: Im „Land der Tiere“ dürfen Hühner, Puten und Enten leben. Zu Besuch bei Alexx, Pauline und Jule, dem Weihnachtsschaf.

Jule, das Weihnachtsschaf, im "Land der Tiere"
Jule, das Weihnachtsschaf, im "Land der Tiere"Julia Fischer

Vellahn. Für Jule gab es zu Weihnachten eine Extraportion Kekse. Jule ist ein Gotland-Schaf und lebt seit Weihnachten 2017 im „Land der Tiere“ in Vellahn bei Zarrentin. Darum wird sie von allen „Das Weihnachtsschaf“ genannt. Dass sie überhaupt noch lebt, verdankt das Tier Jürgen Foß und Tanja Günther, die das Schaf vor zwei Jahren auf ihrem Gnadenhof aufnahmen. Jule und ihre Schwester Lilla waren ihrem Besitzer als „Rasenmäher“ zu viel geworden und sollten für 50 Euro verkauft und illegal geschächtet werden.

Auf dem 130.000 Quadratmeter großen Gelände leben derzeit 120 Tiere. Alle kommen irgendwie aus schlechter Haltung, und es werden von Jahr zu Jahr mehr. Neben Schafen, Ziegen und Schweinen gibt es auch Hühner, Puten, Enten und Kaninchen. „Der Fokus liegt auf landwirtschaftlichen Tieren, weil sie die kleinste Lobby haben“, sagt Foß. Im „Land der Tiere“ dürfen sie bis zu ihrem natürlichen Tod bleiben.

Große Freiflächen

Die Schafe und Ziegen sowie die Schweine haben jeweils eigene Ställe mit großen Freiflächen. Geht Foß über die weitläufigen Wiesen, kommen aus allen Richtungen Tiere angelaufen und holen sich Kleekekse und Streicheleinheiten. Er erkennt jedes einzelne: „Na Pauline, grad aufgestanden?“. „Wir erzählen die Geschichte der einzelnen Tiere und geben ihnen Namen“, erklärt Foß. Die Besucher sollen wieder mehr Empathie mit Nutztieren entwickeln. Andere Organisationen setzten auf krasse Fotos. „Das ist auch gut, aber wir haben einen anderen Ansatz“, so Foß.

Das „Land der Tiere“ ist mehr als ein Lebensraum für gerettete Tiere: Öffentlichkeitsarbeit ist ein zentraler Bestandteil des Projekts. Von Mai bis Oktober ist das Gelände sonntags ab 14 Uhr für Besucher geöffnet, und die Schicksale der einzelnen Tiere werden in Führungen thematisiert. Es gibt Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche sowie vegane Kochkurse. Alle Bewohner im „Land der Tiere“ leben vegan – sogar die beiden großen Hunde Muli und Nica.

Jürgen Foß, Gründer des „Land der Tiere“, besucht die Schafe und Ziegen auf den Freiflächen seines Gnadenhofs. Er kennt sie alle mit Namen.
Jürgen Foß, Gründer des „Land der Tiere“, besucht die Schafe und Ziegen auf den Freiflächen seines Gnadenhofs. Er kennt sie alle mit Namen.epd

Foß und Günther engagieren sich seit 25 Jahren im Tierschutz. Vor fünf Jahren kauften sie ein ehemaliges Militärgelände mitten in Mecklenburg und gründeten die Stiftung Tiernothilfe. Ein paar alte Schuppen und Bunker stehen noch zwischen Hügeln und Wäldchen. Nach und nach werden sie zu professionellen Tierställen ausgebaut. So wurde aus einer alten Bunkeranlage das „Schweineland“, ein Gebäude mit drei Ställen und Küche, Strom- und Wasserversorgung. Es liegt vor einem Wald, von einem 1.000 Meter langen Zaun eingefasst, so dass die Tiere sich auf 30.000 Quadratmetern frei bewegen und jederzeit rein und raus laufen können. Die benötigten 70.000 Euro wurden zur Hälfte durch Spenden gedeckt.

Finanziert aus Spenden

Die monatlichen Fixkosten für das „Land der Tiere“ liegen bei etwa 10.000 Euro. Alles wird durch Spenden finanziert. „Das Rückgrat von allem sind die Tierpatenschaften“, sagt Foß. Ab fünf Euro im Monat kann man eine Patenschaft für ein Tier übernehmen. Dafür gibt’s eine Urkunde mit Foto des Tieres und zum Jahresende eine persönliche Mail mit Informationen, wie es ihm so ergangen ist im Laufe des Jahres. Es sind oft kleine Beträge, sagt Foß. „Aber weil es so viele sind, funktioniert es – es gibt schon mehr als 1.000 Paten.“

Dreh- und Angelpunkt ist das „Haus 1“, in dem die Besucher begrüßt werden. Es gibt einen großen Schulungsraum für Gruppen und eine professionelle Küche, in der auch vegane Kochkurse mit Profi-Köchen angeboten werden. Für die Tiere gibt es dort eine Kranken- und eine Eingewöhnungsstation. Außerdem sind in den regulären „Zimmern“ die meisten Tiere untergebracht, vor allem Kleintiere. Von dort können sie jederzeit ins Außengehege laufen. Dort dürfen auch die Besuchergruppen rein und – sofern es die Tiere zulassen – diese auch streicheln. „Puten sind sehr verschmust und kommen meist von selbst angelaufen“, sagt Foß. Während er Puter Alexx krault, erzählt er, in welchem Zustand die Tiere waren, als sie ankamen. Er beschreibt Hühner, die vom täglichen Eierlegen nach einem Jahr ausgemergelt und ohne Federn waren und Kaninchen, die aus kotverschmierten Holzboxen gerettet wurden.

Ehrenamtliche Helfer

Die Herkunft ist bei allen Tieren unterschiedlich: Die einen kommen aus einem Versuchslabor, andere wurden auf einem Rastplatz gefunden, der Besitzer verstarb und hatte keine Angehörigen oder das Veterinäramt musste wegen schlechter Haltung einschreiten. „Meistens haben wir es mit überforderten Haltern zu tun“, erklärt Foß. Wenn er und seine Frau mit dem Team dann kommen, gehen sie sehr behutsam vor. „Zuerst bieten wir Hilfe an, bringen etwa Futter vorbei“, sagt er. Ein Tier wird nicht gegen den Willen der Halter mitgenommen. Foß überzeugt sie in Gesprächen davon, dass das Tier auf seinem Hof besser weiterleben kann.

Versorgt werden die Tiere vor allem von den sechs Menschen, die ständig im „Land der Tiere“ leben. Es gibt drei Bundesfreiwilligendienst-Stellen. Viele ehrenamtliche Helfer übernehmen vor allem Reparaturarbeiten und Pflege des Geländes oder kommen zu den Öffnungszeiten während der Saison. (epd)