Jugendliche entdecken die „Feste Burg“

Mit Kirchenmusik haben junge Leute kaum noch etwas am Hut. Ein Uni-Projekt will das ändern – mit ersten Erfolgen.

Auch eine Form von Hintergrundmusik: Die Jugendlichen bringen Gläser zum Klingen
Auch eine Form von Hintergrundmusik: Die Jugendlichen bringen Gläser zum KlingenWiebke Barth

Hannover. Eineinhalb Stunden lang beschäftigen sich Schüler des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums mit dem Luther-Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“: Sie stampfen, schlagen und klatschen den Rhythmus, lassen Gläser klingen, diskutieren den Text und bringen das Ganze schließlich zu einer ungewöhnlichen Aufführung auf der Orgelempore der Markus-Kulturkirche – ohne Publikum allerdings, nur für den Spaß an der Sache.
Die rund 50 Mädchen und Jungen aus den Jahrgängen zehn und zwölf der Schule nehmen an einem Workshop teil, den Studenten der Kirchenmusik von der HMTM Hannover (Hochschule für Musik, Theater und Medien) ein Semester lang erarbeitet haben. Dabei wirken Erstsemester und Masterstudenten zusammen. Das Seminar „Jugendlichen Kirchenmusik vermitteln“, geleitet von Ulf Pankoke und Silke Lindenschmidt, ist wiederum Teil des Projektes „Vision Kirchenmusik“ der Landeskirche Hannovers.

Eine lohnenswerte Begegnung

Ziel ist es, mehr Menschen und neue Zielgruppen für Kirchenmusik zu begeistern. In diesem Fall geht es darum, spätere Multiplikatoren fit zu machen für die Aufgabe, Jugendliche und Kirchenmusik zusammenzubringen. Eine ungewohnte Begegnung für die meisten. „Ein feste Burg“, eines der bekanntesten Lieder für die deutschen evangelischen Christen überhaupt, kennt von den Jugendlichen gerade noch einer.
Doch eine lohnenswerte Begegnung, finden zumindest Julia Maeding, 17 Jahre, und Ailar Sotoudi, 15 Jahre, nach der Veranstaltung. „Die Abwechslung hat Spaß gemacht“, loben sie das Konzept. Ein erster Erfolg für das Projekt. Jeweils für 20 Minuten arbeiten die Jugendlichen an drei Stationen an unterschiedlichen Aspekten des Liedes.
Hat der 1529 erstmals veröffentlichte Text den jungen Menschen heute noch etwas zu sagen? „Auf jeden Fall“, finden die Mädchen. Angst, Not, Hoffnung, die Suche nach Sicherheit, all das seien doch hochaktuelle Begriffe. „Man muss sich nur erst mal damit befassen.“

Kulturgut Kirchenmusik

Dafür sind neue Formate nötig, muss sich die Kirchenmusik aus den Kirchenbauten hinausbewegen ebenso wie aus der vertrauten Umgebung von Gottesdienst oder abendfüllendem Kirchenkonzert, weiß Silke Lindenschmidt. Die Mühe lohne sich: Zwar sei Kirchenmusik untrennbar verbunden mit Glauben und Religion, dabei aber auch ein Kulturgut von eigenständigem Wert.
„Wir wollen Musik und Menschen füreinander öffnen“, sagt Silke Lindenschmidt. Dafür gebe es eine Menge guter Ideen. Genau wie der jetzt entwickelte Workshop für Schüler sollen die Projekte alle in den nächsten Monaten in einer Datenbank erfasst und den Kirchenmusikern überall im Land als Fundus zur Verfügung gestellt werden. Isabelle Grupe, im ersten Semester ihres Kirchenmusik-Studiums und eine der Seminarteilnehmerinnen, ist selbst von einer Kantorin für Kirchenmusik und Orgelspiel begeistert worden.

Sprengel fördert Stipendien

Durch ein Orgelstipendium des Sprengels Hildesheim-Göttingen erhielt die Studentin eine Förderung von 500 Euro, um Instrumentalunterricht und Noten zu finanzieren und ihre kirchenmusikalische D-Prüfung abzulegen. Seit mehr als zehn Jahren fördert der Sprengel auf diese Art den Nachwuchs, damit die Orgeln in den Kirchen nicht irgendwann zu stummen Museumsstücken werden.
Heute strebt Isabelle Grupe selbst den Beruf der Kantorin an. Ihre Begeisterung für das Orgelspiel sei allerdings vielen ihrer Freundinnen und Freunde unverständlich, weiß die 20-Jährige. Die meisten in ihrem Alter hätten überhaupt keine oder eine völlig falsche Vorstellung davon, was Kirchenmusiker tun. „Sie haben keinen Bezug dazu in ihrer Lebenswelt“, meint die Studentin. Und ergänzt selbstbewusst: „Das ändern wir hier gerade.“