Iraner stirbt bei Massenprotesten – seine Familie in Gießen trauert

Hossein Mohammadi floh einst aus dem Iran und lebt heute in Gießen. Niemals hätte er daran gedacht, dass er ein Familienmitglied bei den aktuellen Protesten im Iran verlieren könnte.

An seinen Bruder bleiben Hossein Mohammadi nur Erinnerungen
An seinen Bruder bleiben Hossein Mohammadi nur Erinnerungenepd-bild / Carina Dobra

Die Aufmerksamkeit rund um die Proteste im Iran geht zurück. Im Land selbst ist es aber keineswegs ruhig. Houssein Mohammadi lebt seit 1989 in Gießen. Der 61-jährige Iraner musste vor vielen Jahren als politischer Flüchtling sein Heimatland verlassen. „Der Protest ist wellenförmig. Niemand hat die Kraft, dauerhaft auf die Straße zu gehen und dabei auch immer um sein Leben zu bangen.“

Mohammadi weiß, wovon er spricht. Er war selbst Teil der Protestbewegung vor mehr als 40 Jahren gegen das Schah-Regime. Nach seiner Inhaftierung im Jahr 1980 blieb er im Untergrund weiter politisch aktiv. Als dann aber der iranische Geheimdienst einige seiner Mitstreiter tötete, floh er 1982 in den Nordirak. 1989 fand er Schutz in Deutschland. Dass Mohammadi heute, so viele Jahre nach seinem eigenen Kampf für ein gutes Leben und stabile Verhältnisse in seiner Heimat, um ein Familienmitglied trauern muss, macht ihn fassungslos.

Heimlich zur Demonstration

Die Tragödie ereignet sich am 15. November vergangenen Jahres. Foad Mohammadi ist der Sohn von Husseins ältestem Bruder. Mit Frau und zwei Kindern lebt der Besitzer eines Mobilfunkladens in Kamyaran, einer Stadt in der nordwestlich gelegenen Provinz Kurdistan. Am Abend klagt Foad über Zahnschmerzen. Er entschuldigt sich bei Frau und Kindern, er müsse nochmal in die Apotheke. Zu diesem Zeitpunkt weiß niemand, dass sich der 42-Jährige an den Protesten gegen das autoritäre Mullah-Regime in seiner Stadt beteiligen will.

Am Abend verschafft sich der in Gießen lebende Onkel nach der Rückkehr von der Arbeit einen Überblick über die Lage im Iran. Er scrollt auf seinem Laptop die Meldungen bei Facebook durch, bis er bei einem undeutlichen Foto stoppt. Es trägt den Titel „Foad“. Hossein Mohammadi verspürt Angst, sein Herz schlägt schneller. Er sucht weiter nach deutlicheren Beweisen und findet sie schließlich. Der Facebook-Post eines Bekannten zeigt seinen Neffen deutlich. Foad wurde während einer Demonstration erschossen.

Ausgelöst worden waren die Massenproteste durch den Tod der 22-jährigen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini etwa zwei Monate zuvor. Sie war von der Sittenpolizei festgenommen und misshandelt worden, weil angeblich ihr Kopftuch nicht richtig saß. Drei Tage danach starb Amini im Polizeigewahrsam. Viele Iranerinnen und Iraner nahmen dies zum Anlass, um gegen das theokratische System, die Kleiderordnung, gegen Unterdrückung, Diskriminierung und Armut auf die Straße zu gehen.

Hossein Mohammadis Tochter Nina verfolgt die Proteste auf den Instagram-Kanälen der vielen Iranerinnen und Iraner, die aus dem Land berichten. Die 23-Jährige zeigt Videos und Fotos, auf denen ihr Onkel Foad zu sehen ist. „Ihm wurde in den Kopf geschossen. Sie rufen, dass der Handyhändler erschossen wurde.“ Die Bilder seien nur schwer zu ertragen, sagt die Studentin.

Handy zurückgelassen – aus Vorsicht

Nina erzählt weiter, dass man später Foads Handy in der Wohnung gefunden habe. Dass er es bewusst zurückgelassen habe, um seine Familie zu schützen. Sie erzählt von der schwierigen Kommunikation mit der Familie vor Ort. Von der Angst, die iranische Regierung könne die Gespräche abhören. Davon, dass das Sina-Krankenhaus in Kamyaran den Leichnam ihres Onkels nicht herausgeben wollte, um einen Aufruhr zu verhindern. Dass man auf ihre Familie im Hof des Krankenhauses geschossen und eingeprügelt habe, damit sie endlich verschwinden.

„Foad wusste, dass er sterben kann.“ Das wüssten alle, die gegen das Regime aufbegehren, sagt Nina. „Als wir von Foads Tod erfuhren, war da einfach nur Wut. Wut gegen diese Brutalität und Skrupellosigkeit, gegen diese Menschenfeindlichkeit. Wir konnten erst keine Trauer empfinden. Und plötzlich war uns klar, dass wir jetzt auch eine betroffene Familie sind.“ Aber Nina und Hossein Mohammadi sind sich sicher, dass der Tod ihres Angehörigen nicht umsonst gewesen ist. „Ich bin optimistisch“, sagt Hossein, „dass diese Revolution das Mullah-Regime stürzen wird und das iranische Volk in Frieden und Freiheit leben kann.“

Foads Leichnam wurde irgendwann von den Verantwortlichen des Krankenhauses freigegeben und noch in derselben Nacht im Dorf Mavian, nordwestlich von Kamyaran, beigesetzt. Nina Mohammadi zeigt ein Foto, das bei Instagram gepostet wurde. Zu sehen sind die beiden Töchter des verstorbenen Foad von hinten, wie sie am Grab ihres Vaters stehen und das Victory-Zeichen machen.