Hinter Gittern wird es musikalisch

Alle zwei Wochen treffen sich Gefangene in einer Gefängnis in MV und machen Musik mit dem Kirchenmusiker und den Gefängnisseelsorgern. Jetzt haben sie sogar eine CD aufgenommen.

Aufnahme für eine CD: Am E-Piano Karl Scharnweber, am Schlagzeug Christoph Keck, ganz rechts die katholische Gefängnisseelsorgerin Ursula Dierich
Aufnahme für eine CD: Am E-Piano Karl Scharnweber, am Schlagzeug Christoph Keck, ganz rechts die katholische Gefängnisseelsorgerin Ursula DierichMarion Wulf-Nixdorf

Waldeck. Ein heller Gemeindesaal. Die Kaffeetafel ist gedeckt mit Stollen, Erdnüssen, Tee und Kaffee.  An der Decke hängt ein Herrnhuter Stern. Drei Adventskerzen brennen auf dem Tisch, ebenso auf dem Altartisch. Ein Kreuz hängt an der Wand, ein Klavier steht da. Knapp ein Dutzend Männer zwischen 26 und 66 sind im Raum, einer am E-Piano, das gerade aufgebaut wird, einer am Schlagzeug, mehrere mit Gitarren, einer am Bass, drei haben ein Blatt in der Hand – das sind die Sänger. Lediglich eine Frau ist dabei – sie hat eine Querflöte in der Hand.
Es sieht aus, als wird das hier eine ganz normale Band-Probe mit Adventsfeier. Auffallend ist: Die meisten Männer haben schlabbrige Jogging-Hosen an. Und vor den Fenstern sind starke Gitter.
Der Raum ist die Gefängniskapelle in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Waldeck. Da hier gerade gebaut wird, sind insgesamt nur rund 2oo Insassen auf dem Gelände untergebracht. Das sind Männer in U-Haft,  deren Prozess im Gerichtsbezirk Rostock stattfinden wird, Verurteilte mit einer Strafe von mehr als acht Jahren, das heißt auch Mörder, sowie Sexualstraftäter mit über zwei Jahren Haft und Gewaltstraftäter, die in der Sozialtherapie therapiert werden. Außerdem sind in Waldeck Gefangene untergebracht, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und diese nicht bezahlt haben.

Eine CD als Erinnerung

Es gibt in dieser Justizvollzugsanstalt (JVA) einen evangelischen Gefängnisseelsorger, seit 2007 ist das  Pastor Martin Kühn, und die katholische Seelsorgerin Ursula Dierich ist seit einem Jahr hier tätig – sie ist auch die Frau mit der Querflöte.
Die Band gibt es seit April, angeleitet wird sie vom Rostocker Kirchenmusiker Karl Scharnweber, der seit einem Jahr im Ruhestand ist. Er hatte bereits in seiner Dienstzeit Kontakt nach Waldeck, rund 20 Jahre ist er hier im Advent mit seinem Kirchenchor aufgetreten. Zweimal im Monat haben sich die Häftlinge und die beiden Seelsorger in der Kapelle getroffen, um Musik zu machen. Und weil das Ergebnis so gut ist, schlug Scharnweber vor, wenigstens drei selbstkomponierte  Stücke aufzunehmen, damit die Gefangenen etwas zur Erinnerung haben, vielleicht sogar ein Geschenk für ihre Familien. Als Aufnahmeleiter hat Scharnweber den Profi Thomas Braun mitgebracht, zur Verstärkung der Band den Profi-Schlagzeuger Christoph Keck.
Das erste Lied geht gleich richtig unter die Haut: „Ich bin bereit zu gehn“. Jan, 54, hat den Text geschrieben, Akkorde und Melodie entwickelt, Karl hat das Ganze arrangiert.  „Schau nach vorn, will mein Leben leben…“ heißt es darin. „Lass das alles hinter mir, schau nach vorn, vom ich zum wir“, endet der Refrain. Der Profi Karl Scharnweber ist beeindruckt: „Sonst geht’s ja eher vom wir zum ich“, sagt er.

Häftling mit "Musik-Gen"

Herr F., von dem das Lied stammt,  hat bereits 17 Jahre abgesessen. Er hofft bald freizukommen. Das Gitarrenspiel hat er sich selbst beigebracht, weil er „die Bücher aus der Bibliothek alle schon gelesen hat“ und eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung haben wollte. Eigentlich ist es nicht erlaubt, Musikinstrumente in der Zelle zu haben, wegen der Saiten… sagt Martin Kühn, aber es gibt Ausnahmegenehmigungen.  Herr F. hat eine erhalten.
Ebenso wie Herr K., 26, der seit vier Jahren einsitzt und eine lebenslängliche Haftstrafe verbüßt. Er spielt sehr gut Bass, auch ein wenig Klavier. „Der hat das Musik-Gen“, sagt Karl. Herr K. freut sich. Er hat auch einige Takte komponiert und die Männer nehmen die Idee auf und spielen.
Auch ein Kyrie wird aufgenommen. Das wurde schon bei einem Gottesdienst in der JVA Bützow gespielt, erzählt Scharnweber. Da waren der katholische Erzbischof Stefan Heße aus Hamburg  und andere  Kirchenobere dabei. Die wollten mitsingen und wunderten sich, dass sie die Melodie nicht kannten… Tja, selbst komponiert…

Projekt aus Gottesdienst entstanden

Mit den Gottesdiensten, die regelmäßig ein mal im Monat in der JVA ökumenisch gefeiert werden, hat das Projekt begonnen, erzählt Martin Kühn. Er habe mit der Gitarre selbst die Gottesdienst-Lieder begleitet. Dabei habe er mitbekommen, dass einige Gefangene auch Gitarren-Kenntnisse haben. Ein Beamter aus der Sozialtherapie hat Akkordeon gespielt und gemeinsam mit Häftlingen Musik gemacht. So wurde die Idee für ein Musik-Projekt geboren. Karl Scharnweber war sofort bereit, die künstlerische Leitung zu übernehmen. „Das macht mir Spaß, und den Gefangenen bedeutet es was“, sagt er.
Die mecklenburgische Stiftung „Kirche mit anderen“ sagte finanzielle Unterstützung (1200 Euro) zu, ebenso die Nordkirche (1200 Euro), die katholische Kirche übernahm die Kosten für die Notenständer, die Haftanstalt übernahm die Fahrtkosten für den Musiker. Die Instrumente gehören den Gefangenen oder wurden der Seelsorge gespendet und den Gefangenen zur Verfügung gestellt.

Der Traum von Liedern am Lagerfeuer

Das Projekt ist nun zu Ende. In den Christvespern am 23. Dezember haben die Gefangenen ihre Musik im Gottesdienst gespielt. „Karl behalten wir hier“, ruft einer fröhlich. „Eine Zelle ist noch frei“, fügt ein anderer lachend hinzu. Es hat allen großen Spaß gemacht. Abwechslung vom ansonsten eintönigen Alltag im Knast. 
Wenn Jan entlassen wird – er hofft, in drei Jahren – dann will er seinen Enkeln am Lagerfeuer Lieder vorspielen. Und vorher, vielleicht schon im kommenden Herbst, gibt es ein neues Musikprojekt, hoffen alle. Bis dahin soll die Gefängniskapelle ein freundlicheres Gesicht bekommen. Gemeinsam mit der Künstlerin Barbara Wetzel ist eine Neugestaltung geplant.