Hinter die erste Pfeifenreihe geschaut

Wie funktioniert eigentlich eine Orgel? Was passiert, wenn man eine Taste drückt? Und was ist ein Register? Bei einer Hamburger Ausstellung lassen sich Orgeln interaktiv entdecken.

Peter Hundert / Elbphilharmonie

Hamburg. Mit ihren goldenen Ornamenten ist die Rokoko-Orgel am Eingang der Ausstellung ein echter Hingucker. Hinter geschnitztem Laub- und Muschelwerk sind die Pfeifen säuberlich der Länge nach aufgereiht. Ein Anblick, der manch einem aus Kirche oder Konzertsaal bekannt vorkommen dürfte. Die Ausstellung „Manufaktur des Klangs. 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) will hinter die erste Pfeifenreihe schauen. „Der Laie sieht beim Betrachten einer Orgel meist nur die Prospektpfeifen“, sagt Kurator Olaf Kirsch. „Wir möchten auch einmal die Technik zeigen, die dahintersteckt.“

Der Rundgang startet mit einem Ritt durch die über 2.000-jährige Geschichte der Orgel. „Sie beginnt bei Ingenieuren in Nordafrika, genauer gesagt in Alexandria“, erläutert Kirsch. Dort entwickelte der griechische Ingenieur Ktesibios im dritten Jahrhundert vor Christus für einen Friseursalon einen mittels Druckpumpe auf und ab fahrbaren Spiegel. Nebenbei entdeckte er, dass sich mit Hilfe der Hydraulik auch Töne erzeugen ließen – die Geburtsstunde der ersten Orgel.

Antike Wasserorgel nachgebaut

Im alten Rom kam seine Erfindung vielfach zum Einsatz, etwa bei Gladiatorenkämpfen im Kolosseum. Wie sie funktionierte, zeigt in der Ausstellung der Nachbau einer antiken Wasserorgel aus dem 3. Jahrhundert. Während die Orgel in Europa zur Zeit der Völkerwanderung in Vergessenheit geriet, wurde sie im oströmischen Byzanz weiter gespielt, etwa zu Pferderennen im Zirkus. Von dort gelangte sie im 8. und 9. Jahrhundert zunächst an die die Königshöfe der Merowinger und Karolinger und später in die Kirchen, wo sie sich im Mittelalter als wichtigstes Instrument durchsetzte.

Dass Orgeln nicht nur in Gotteshäusern standen, beweist eine in einem Schrank verbaute niederländische Hausorgel aus dem 18. Jahrhundert. „Dort spielte man sonntagmorgens seine Choräle, aber samstagabends auch Tanzmusik“, sagt Kirsch.

Vom Klang der insgesamt 14 historischen Instrumente und Rekonstruktionen können sich die Besucher in Hörbeispielen überzeugen. Wem es dabei schon in den Fingern kribbelt, der darf im zweiten Teil der Ausstellung selbst ran. An einem Modell lässt sich ausprobieren, wie verschiedene Orgelpfeifen klingen – von der eher weichen Flöte bis zur dröhnenden Trompete. Der mehrere Meter langen Basspfeife, die in der Waagerechten auf dem Boden liegt, ist nur ein tiefes Wummern zu entlocken. „Am besten setzt man sich drauf, dann spürt man den Klang“, rät Kirsch. Ohne Wind läuft hier übrigens gar nichts: Während ein Besucher an den Ventilen unter den Pfeifen zieht, muss mindestens ein zweiter den Blasebalg treten.

Zum Todestag Schnitgers

Ein Orgelsimulator bietet die Gelegenheit, selbst mit Händen und Füßen zu spielen und alle Register zu ziehen. In einer medialen Präsentation können die Besucher die Orgel der Hamburger Elbphilharmonie mit rund 5.000 Pfeifen erkunden. Und damit nicht genug: Mit Hilfe einer VR-Brille können sie sogar ihr eigenes Instrument entwerfen.

Vorlagen bietet eine Fotowand am Ende der Schau, mit zahlreichen Abbildungen moderner Orgeln, darunter die Instrumente in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles und der Grand Hall im Tokioter Metropolitan Art Space. „Die Aufnahmen zeigen die Tendenz, wohin sich der moderne Orgelbau entwickelt“, sagt Kirsch.

Die bis zum 3. November dauernde Schau findet im Rahmen des Orgeljahres statt, das die Stadt Hamburg anlässlich des 300. Todestags des Orgelbauers Arp Schnitger (1648-1719) ausgerufen hat. Es steht unter dem Motto „Hamburg zieht alle Register“.

Schwieriger Transport

Auch Olaf Kirsch hat für die Ausstellung im übertragenen Sinne alle Register gezogen. Der für die Instrumentensammlung im MKG zuständige Experte setzte sich im vergangenen halben Jahr intensiv mit der Orgel auseinander und organisierte zahlreiche Leihgaben aus ganz Deutschland, deren Transport in vielen Fällen nicht ganz einfach war.

Der Besucher hat am Ende eine Ahnung davon, welch komplexe Technik in der Orgel steckt und welch vielfältige Klangmöglichkeiten sie bietet. Daneben weckt der Blick hinter die Prospektpfeifen vor allem eines: Faszination und Begeisterung für die „Königin der Instrumente“. (KNA)

Info
Manufaktur des Klangs. 2000 Jahre Orgelbau und Orgelspiel“, 5. Juli bis 3. November, Museum für Kunst und Gewerbe (MKG), Steintorplatz, 20099 Hamburg, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag bis 21.00 Uhr, Eintritt 12 Euro (ermäßigt 8 Euro; Donnerstag ab 17.00 Uhr 8 Euro), bis 17 Jahre frei.