ADHS oder Selbstverletzung: Viele Auffälligkeiten bei jungen Menschen hängen damit zusammen, dass sie Emotionen nicht regulieren können. Doch Eltern können ihre Kinder dabei schon im jüngsten Alter unterstützen.
Der Säugling brüllt wie am Spieß, die Zweijährige kämpft mit ihren Gummistiefeln – auch kleine Kinder erleben Frust. Wichtig sei, diese Situationen zu begleiten, sagte die Familientherapeutin Cornelia Stöckel am Dienstagabend bei einer Veranstaltung der Zeitschrift “Psychologie Heute”. Das sei mit einfachen Sätzen möglich wie: “Ich glaube, du hast Hunger” oder: “Ich sehe, dass dir das schwerfällt”. Mutter und Vater dürften sich von Wut, Angst oder Frust nicht anstecken lassen.
Kleine Kinder wollten “niemals manipulieren oder provozieren”, betonte Stöckel. Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Eva Möhler ergänzte, dass Eltern in einer aufgeheizten Situation zunächst ihre eigenen Gefühle regulieren müssten, um dem Kind Sicherheit zu vermitteln: “Kinder brauchen das Vertrauen, dass sie mit ihren Gefühlen nicht extreme Gefühle der Eltern verantworten.”
Wenn Eltern dies nicht gelinge, gehe es für sie darum, den Umgang mit der eigenen Wut zu üben, sagte Stöckel. “Es ist wichtig, dass Kinder auch die Wut der Eltern erleben – ohne dass wir ihnen Angst machen.” Oft hielten Erwachsene ihre Wut zu lange zurück, bis eine Situation eskaliere: “Dann schießt man über das Ziel hinaus, sagt vielleicht Dinge, die man nicht sagen wollte – und sucht den Fehler beim Kind, das einen angeblich provoziert habe.”
Viele kinderpsychiatrische Störungsbilder hätten die Gemeinsamkeit, dass Betroffene ihre Emotionen schlecht regulieren könnten, erklärte Möhler. Wer als Kind lerne, die eigenen Gefühle zu ignorieren, suche meist ein Ventil – und finde dies mitunter in schädlichen Verhaltensweisen, etwa einer Neigung zur Sucht. Die Expertin verwies zudem auf Studien, denen zufolge durch unzureichende Emotionsregulation das Risiko für Erkrankungen wie Diabetes steigt.
Grundschulkindern falle es heute oftmals schwer, sich auszudrücken, sagte Möhler. Hilfreich ist es laut Stöckel, ein Gefühl zunächst wahrzunehmen und dann zu benennen. Üben könnten Familien dies etwa mit Gefühlskarten. In Therapien – auch für Erwachsene – gehe es oft darum, Menschen wieder in Kontakt mit ihren Gefühlen zu bringen: Manche spürten gar nichts, andere würden “überschwemmt” und fühlten sich etwa blind vor Wut oder starr vor Angst. Ebenso blockiere der Anspruch, alles richtig zu machen, manche Eltern: “Manchmal muss man sich selbst vergeben.”