Hier wird ein Gotteshaus zu einem kleinen Hotel

Einst soll in der Kirche Shakespeare mit seiner Gruppe Theater gespielt haben. Heute können in der St. Mary’s Church in England Touristen übernachten. Ein erfolgreiches Konzept, auch wenn es für die Reisenden nicht ganz billig ist.

Zwischen diesen Kirchenbänken können die Gäste schlafen
Zwischen diesen Kirchenbänken können die Gäste schlafenJoseph John Casey / epd

Fordwich/London. "Kleinste Stadt Großbritanniens" steht am Ortseingang von Fordwich, kurz bevor man über eine enge Brücke in den kleinen Ort fährt. Das Örtchen liegt im Süden Englands, in der Grafschaft Kent, nicht weit weg von Canterbury. Fordwich ist malerisch: Es gibt nur eine Straße mit wenigen Abzweigungen, kleine typisch britische Häuser mit roten Dachziegeln, ein Rathaus, zwei Pubs und eine Kirche. "372 Menschen leben in Fordwich", sagt Bürgermeister Philip Lewis. "Tendenz steigend."
Seit dem vergangenen Jahr kann man in der Kirche St. Mary’s übernachten. "Champing" nennt das der "Churches Conservation Trust", der die Übernachtung in nicht mehr genutzten Kirchen organisiert – Camping in der Kirche, also eine Kombination aus den Worten "church" und "camping". Die Stiftung ist für die Unterhaltung nicht mehr genutzter, aber erhaltungswürdiger Kirchen verantwortlich.

Bedenken der Bürger

In den vergangenen Jahren musste die Stiftung Mittelkürzungen hinnehmen, und so kam man auf die Idee, die Kirchen zu nutzen, um Einkommen zu generieren. Man öffnete sie für Wanderer oder andere Reisende, die einfach mal in einer Kirche übernachten wollen. Das Konzept ist aufgegangen, sieben Kirchen sind bisher zu buchen.
In Fordwich ist Bürgermeister Lewis gleichzeitig auch der Freiwillige, der die Gäste in der Kirche betreut. "Am Anfang gab es ernstzunehmende Vorbehalte von Seiten der Bürger gegen das Projekt", sagt er. Aber er konnte sie überzeugen, die Kirche für Übernachtungsgäste zu öffnen. "Für viele ist das ihre Familienkirche, auch wenn nur noch ein paarmal im Jahr dort Gottesdienste stattfinden und sie sonst nicht mehr genutzt wird." Einige hätten Angst gehabt, dass die Kirche "entweiht" würde. Aber das Gegenteil sei passiert. Die Gäste seien von der Kirche sehr beeindruckt, und es habe nie Probleme gegeben.
Wer in der Kirche übernachten will, schläft zwischen Kirchenbänken in einer Art Box, in der früher die Orchestermusiker Platz nahmen. Dort hat der "Churches Conservation Trust" zwei Feldbetten aufgestellt.

Luxus Fehlanzeige

Auf großen Luxus muss man in dem Gotteshaus für eine Nacht verzichten. Aber in einer Ecke neben den Bänken stehen immerhin Campingstühle und Wasserkocher, um Tee zu kochen und sich mit dem Notwendigsten zu versorgen. Außerdem gibt es in einem abgetrennten Bereich eine Toilette und eine Waschgelegenheit. 55 Pfund (rund 63 Euro) zahlen erwachsene Reisende pro Nacht für dieses spartanische Übernachtungsvergnügen.
Es kämen vor allem geschichtsinteressierte Reisende nach Fordwich, sagt Bürgermeister Lewis. Das ist nicht überraschend, denn das Rathaus mit seinem alten Gefängnis und die Kirche sind sehenswert. Selbst Shakespeare soll mit seiner Theatergruppe zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Fordwich gespielt haben, vermutlich in der Kirche St. Mary’s, in der heute die Gäste übernachten können.
Auch das Rathaus aus dem Jahr 1544, das sich direkt neben der Kirche befindet, ist ein Besuchermagnet. Es wird immer noch für Gemeinderatsversammlungen genutzt. Fordwich erhielt von Heinrich II. im Jahr 1184 die Urkunde der Handelshausgilde, denn der kleine Ort am Fluss Strout war ein wichtiger Hafen.

Touristen sichern Erhalt der Kirche

Erst als im Jahr 1830 die Eisenbahnlinie gebaut wurde, verlor Fordwich als Hafenstadt an Bedeutung. 1885 entzog man ihr das Stadtrecht. Aber 1972 bekam Fordwich diesen Status wieder zurück und ist seitdem die kleinste Stadt im Land.
Derzeit überlegen die Gemeinde und die Stiftung, ob sie Führungen im Rathaus und Übernachtungen in der Kirche zusammen anbieten sollen. Das Konzept soll weiter entwickelt werden. Die Übernachtungen in der Kirche gibt es seit vergangenem Jahr. Fast 80 Menschen haben seitdem in St. Mary’s übernachtet – und so den Erhalt der Kirche finanziell unterstützt. (epd)