Hier leben Demenz-Patienten wieder auf

Neun Senioren leben in Hamburg in einer Wohngemeinschaft zusammen. Sie alle vereint eine Sache: ihre Demenz. In der Gemeinschaft blühen sie wieder auf, sagen ihre Angehörigen.

Manuel Opitz

Hamburg. Wo steckt der Clown? Ingrid sitzt an einem Tisch mit dutzenden verdeckten Spielkarten und sucht murmelnd das passende Gegenstück zu der Figur, die sie in der linken Hand hält. Schließlich dreht sie ein Plättchen um – und tatsächlich: Es ist der zweite Clown. „Passt!“, ruft sie, während ihre Mitspieler klatschen. Dann fragt Anneliese, die davor an der Reihe war: „Wie geht das Spiel?“

Ingrid und Anneliese leiden an Demenz, genau wie ihre sieben Mitbewohner. Sie alle leben zusammen in einer WG in Stellingen und sind zwischen 75 und 87 Jahre alt. Pflegerin Petra Ossenbrüggen sitzt mit am Tisch und sagt: „Ich arbeite seit 33 Jahren in der Pflege, aber hier kann ich zum ersten Mal so arbeiten, wie ich selbst einmal behandelt werden möchte, wenn ich älter bin.“

Angst vor der Einsamkeit

Im Januar sind die ersten Mieter in die Wohnung eingezogen, die die Martha-Stiftung, ein diakonisches Sozialunternehmen, gemietet hat. Koordinatorin Hannelore Köster erläutert die Idee der besonderen WG: „Die meisten Demenzkranken haben Angst davor, einsam zu sein und suchen Nähe“, sagt sie. Hier werde jeder so angenommen, wie er sei.

Jeder Mieter hat sein eigenes Zimmer mit Bad, dazu gibt es ein Wohnzimmer mit offener Küche. Es gibt einen groben Tagesablauf: Frühstück, Mittag, Kaffee und Kuchen, aber jeder Bewohner beschäftigt sich nach Lust und Laune: Kreuzworträtsel, Spaziergänge oder Gartenpflege.

Meistens sind drei Pflegerinnen von der Ambulanten Pflege St. Markus gleichzeitig in der Wohnung. „Und dadurch können wir ganz anders mit den Menschen umgehen als in einem Heim“, sagt Ossenbrüggen. „Wir kennen unsere Bewohner sehr genau und haben eine richtig enge Beziehung.“

Angehörige schauen vorbei

Würdevoll und so selbstbestimmt leben, wie es geht – das sind die Ziele der Demenz-WG der Martha-Stiftung. „Wir stülpen den Bewohnern nicht einfach irgendeine Hilfe über oder führen ihnen ihre Schwächen vor“, sagt Koordinatorin Hannelore Köster. „Es geht uns um ihre Stärken.“ Und um ein Miteinander auf Augenhöhe. Die Krankheit schreitet bei jedem unterschiedlich voran. Einige Mieter können aus eigener Kraft laufen und selbstständig essen oder sich anziehen, andere benötigen Hilfe. Ingrid dagegen braucht Beschäftigung. Erst trocknet sie ein paar Teller und Tassen ab, dann zuckert sie die Erdbeere. Und rührt sie mit einem Kuchenheber um.

Zwischendurch schauen Angehörige vorbei. Wie Jette Forneé. Sie besucht ihre Mutter Monne, die auf einem Sessel schläft. „Bevor sie hier eingezogen ist, hat sie ein halbes Jahr in einem Pflegeheim verbracht“, erzählt die Tochter. Sie kniet sich neben ihre Mutter, streichelt ihre Hände. „Hier blüht sie richtig auf: Sie hat zugenommen, bewegt sich mehr, ist aktiver. Wenn ich die Wohnung verlasse, weiß ich, dass es ihr gut geht.“

Die Angehörigen der Mieter kennen sich, treffen sich mindestens einmal im Monat und bringen sich ein. Und eines ist Jette Forneé wichtig: „Die Menschen können hier in ihrem Zuhause sterben und müssen nicht etwa ins Krankenhaus.“