Hier ist die Industrie faszinierend und erschreckend

Die Schönheit der Industriebauten hat die Kunst ebenso fasziniert wie das von ihr verursachte Elend. Das Hamburger Bucerius Kunst Forum stellt sich mit seiner neuen Ausstellung zur Industrie diesem Zwiespalt.

Die Ausstellung zeigt die Industrie im Blick von Malerei und Fotografie
Die Ausstellung zeigt die Industrie im Blick von Malerei und FotografieUlrich Perrey

Hamburg. Die Glut des Stahlwerks, das heroische Arbeitergesicht oder die Ölschlieren im Ozean – die Industrie hat Fotografen und Maler seit ihren Anfängen fasziniert. Das Hamburger Bucerius Kunst Forum widmet der Industrie-Kunst jetzt mit „Moderne Zeiten“ eine eigene Ausstellung. 170 Fotografien und rund 30 Gemälde geben bis zum 26. September Einblick in die künstlerische Darstellung der Industrie von der Romantik bis heute. Präsentiert werden mehr als 100 Künstlerinnen und Künstler.

Die Ausstellung ist chronologisch gegliedert und beginnt sehr dunkel. Schwarze Wände und Enge sollen an die von Kohlenstaub geprägten Anfänge der Industrialisierung erinnern. Die älteste Daguerreotypie zu dem Thema stammt von 1844 und zeigt den Bau des Bahnhofs Altona. Auf dem Gemälde der Berliner Borsig-Werke werden die halbfertigen Lokomotiven noch von Pferden gezogen. Stolz präsentieren sich die Besitzer des Bleibergwerks Mechernich in der Eifel.

Dämonen neben Stahlarbeitern

Die künstlerische Darstellung von Industriewerken war im 19. Jahrhundert in der Regel Auftragsarbeit. Die Krupp-Werke beschäftigten zur Jahrhundertwende eine eigene Abteilung mit Fotografen, ein achteiliges Panorama von 1864 zeigt die gesamte Werksanlage in Essen. Auch das Gemälde „Die Krupp’schen Teufel“ (1912/13) von Heinrich Kley mit den ekstatischen Dämonen neben den Stahlarbeitern ist nicht kritisch gemeint, sondern eine Auftragsarbeit von Krupp: Die Arbeiter bezwingen die Gewalt des flüssigen Stahls.

Nach der Jahrhundertwende rückt der arbeitende Mensch stärker in den Fokus, das Leiden und die Armut der Arbeiterschaft. So fotografierte August Sander Arbeiterwohnungen, einzelne Fabrikarbeiter und die Schlangen von Arbeitslosen. Mit seinen Portraits verleiht der Maler Georg Friedrich Zundel, Ehemann der Kommunistin Clara Zetkin, dem Arbeiter eine besondere Würde. Später entwickeln nationalsozialistische Fotografinnen wie Erna Lendvai-Dircksen den „arischen Arbeiter“.

Dieses Bild entstand in einer Spinnerei in Leipzig im Jahr 1970
Dieses Bild entstand in einer Spinnerei in Leipzig im Jahr 1970VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Die Neue Sachlichkeit wandte sich in den 1920er Jahren dagegen eher der Form zu und entdeckte das überdimensionale Zahnrad als Symbol der Industrie. Der Titel der Ausstellung, „Moderne Zeiten“, erinnert an den gleichnamigen Film mit Charly Chaplin, für den auch mit Zahnrad-Bildern geworben wurde.

Charakteristisch für das westdeutsche „Wirtschaftswunder“ in den 1950er Jahren ist der Blick auf die Formen der Industrieproduktion: Reihen von vorgefertigten „Käfer“-Motorhauben, verschlungene Gleisanlagen und die vielgestaltigen Formen der Hochöfen.

Am Ende wird’s heller

Die Gegenwartskunst widmet sich eher den gigantischen Umweltzerstörungen durch die Industrie. Andrej Krementschouk fotografierte zerstörte Häuser am Atomreaktor Tschernobyl, Jürgen Nefzger Golfspieler vor der kontaminierten Atomanlage Sellafield. Die ästhetisch faszinierenden Fotos von Daniel Beltra zeigen die Ölkatastrophe Deepwater Horizon, Taslima Akhter hat Opfer der eingestürzten Textilfabrik in Bangladesch fotografiert.

Gegen Ende wird die Ausstellung heller, aber dadurch nicht klarer. Wie ist eine digitale Arbeitswelt darstellbar, die vor allem von Datenströmen lebt? Gezeigt wird ein Blick in leere Serverräume, sterile Produktionsbänder und endlose Container-Reihen. Robert Volt hat Bäume und Groß-Kakteen in scheinbar idyllischen Landschaften fotografiert – dabei sind es umgestaltete Handy-Masten. (epd)