Heilige Unruhe

Über den Advent während der Pandemie und der Flüchtlingskrise schreibt Dirk Fey. Er ist Pastor in Wanzka in Mecklenburg-Vorpommern.

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Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Reiß doch den Himmel auf und komm herab.“ Jesaja 63, 19

Beim Lesen des Predigttextes habe ich sofort den Kanon Herbert Beuerles im Ohr! „Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab, herab“, singt es in mir hoch und runter. Dann legt sich auf die Grundmelodie der alte Gesang „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Konzentriere ich mich auf die beiden Melodien, werde ich unruhig. Das hat möglicherweise nicht nur technische Gründe, weil die beiden Melodien nicht auseinanderfallen dürfen. Dem Komponisten unterstelle ich eine größere Absicht. Denn irgendwie gelingt es ihm, mich singender Weise über das ausbleibende Kommen Gottes ärgerlich werden zu lassen.

Bisweilen lässt mich dieses Phänomen alljährlich schmunzeln. Doch zu ernst ist die Thematik hinter den Melodien und dem Text. Daher ist es gut und richtig, wenn ich mitten in der heimeligen Adventszeit von einer heiligen Unruhe ergriffen werde. Und in diesem Jahr ist meine Nervosität besonders hoch. Das verwundert nicht. Denn an der Außengrenze Europas sind Menschen in Not zum Spielball politischer Mächte geworden. Mich erschüttert das! Die Diskussionen um die Begrenzung der Erderwärmung und die damit verbundenen Maßnahmen werden beständig drängender. Warum geht das nicht schneller? Und dann die rasch steigenden Corona-Zahlen. Wird der soziale Frieden das politische Gegenlenken aushalten können? Bitte, Gott, zerreiße endlich die Himmel und komm! Sieh zu! Lenke ein! Tu etwas in dieser Krisensituation!

Meine Sehnsucht nach dem Himmel auf der Erde wird hell wach. Darin ist die Natur in ihrer Ursprünglichkeit freilich nicht wiederherzustellen. Aber unser kulturelles Versagen müsste dringend eine neue gemeinsame Ausrichtung erhalten, denn jeder Mensch hat das Recht auf ein gutes Leben – ganz gleich, ob er heute oder morgen lebt. Und in diesem Zusammenhang ist der ungeduldig zu zerreißende Himmel eher das eigene menschliche Herz. Wie sonst soll endlich Menschlichkeit zum Vorschein kommen?

Unser Autor
Dirk Fey ist Pastor in der Kirchengemeinde Wanzka im Kirchenkreis Mecklenburg.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Dienstag.