Heilige Exportschlager

In Lüneburgs Ratsbücherei wird gesammelt, was aus Lüneburg stammt: Bibeln. Viele der segensreichen Exporte kommen aus einer lokalen Druckerei.

Stolz auf die Bibeln (v.l.): Pastor Wilfried Haase, Kirsten Kurpeik,  Dr. Thomas Lux, Dr. Wolfgang Schellmann und Claudia Kalisch
Stolz auf die Bibeln (v.l.): Pastor Wilfried Haase, Kirsten Kurpeik, Dr. Thomas Lux, Dr. Wolfgang Schellmann und Claudia KalischHansestadt Lüneburg

Lüneburg. Als er die alten Bücher auf der Ausstellung im Lüneburger Museum entdeckte, war Walter Schellmann gleich fasziniert – und er hatte keinen Zweifel: Diese vier besonderen Bibeln gehören nicht in irgendeinem Bücherschrank vergraben. Diese jahrhundertealten Exemplare müssen in die Ratsbücherei und die Bibelsammlung der Hansestadt. Er zögerte nicht lange und sprach die Besitzer an. „Mehr als Nein sagen können Sie ja nicht“, erinnert er sich schmunzelnd an seinen Vorstoß. Aber Schellmann hatte Erfolg, die Eigentümer sagten Ja – und nun hat die Ratsbücherei vier neue Kulturschätze erhalten: eine Historienbibel von 1684, eine Stern-Bibel von 1656, eine Berleburger Bibel von 1726 und die Egenolff-Bibel von 1534.

Lüneburg hat eine besondere Beziehung zum Buch der Bücher: „Lüneburg ist nicht nur Stadt des Salzes, sondern auch des Buchdrucks“, weiß Thomas Lux, der Leiter der Ratsbücherei. Die von Stern’sche Druckerei am zentralen Platz Am Sande gehörte im 17. und 18. Jahrhundert zu den dominierenden Druckereien am heiß umkämpften Markt und machte die Bibel damit zum Lüneburger Kulturgut. Mindestens eine halbe Million Bibeln sind über den Platz Am Sande in die Welt hinausgegangen.

Deutschlands größte Sammlung

Rund 200 Originalausgaben von Stern’scher Bibeldrucke besitzt die Ratsbücherei bereits, die älteste Bibel in der Sammlung stammt aus dem 15. Jahrhundert. 154 Auflagen der Stern-Bibel hat Schellmann bestimmt, Exemplare von 120 Auflagen sind in der Bibliothek bereits vorhanden. „Das ist die mit Abstand größte Bibelsammlung in Deutschland. Solch einen Bestand gibt es in keiner anderen Bücherei“, sagt Schellmann nicht ohne Stolz. Denn er sorgt dafür, dass sich die Sammlung immer weiter vergrößert – er selbst hat seine wertvolle Sammlung mit 250 Exemplaren ebenfalls vor zweieinhalb Jahren der Ratsbücherei gestiftet.

Weitere Spenden willkommen

Die Bibeln werden den Weg in die Magazine der Ratsbücherei finden, wenn der Modernisierungsprozess des Hauses abgeschlossen ist. „Ich hoffe auf weitere Spenden“, sagt der Lüneburger, der weiß, dass noch so mancher Schatz in den Bücherschränken der Hansestadt schlummert. „Ich kenne bestimmte Haushalte“, hat er auf einige Exemplare schon den Blick geworfen.


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Wenn es um alte Bibeln geht, macht Walter Schellmann so schnell keiner etwas vor. Der Bibelexperte beschäftigt sich seit gut 35 Jahren mit dem Buch der Bücher. Er sei damals „nicht über die theologische Schiene“ zur Bibel gekommen. „Fasziniert haben mich die publizistischen Effekte“, erzählt der Ingenieur. Geweckt wurde seine Leidenschaft während des Maschinenbaustudiums in Darmstadt. „Dort gab es auch noch einen Drucklehrstuhl, und dann landet man schnell beim Bibeldruck“, sagt er. Denn die Druckkunst veränderte im 15. Jahrhundert nicht nur die Welt, die beweglichen Lettern von Johannes Gutenberg ermöglichten es auch, Text – und die Bibel – schnell zu vervielfältigen und zum Erfolg Luthers beizutragen.

Innovation Taschenbuch

Auf dem Markt hatte die von Stern’sche Druckerei in Lüneburg im 17. Jahrhundert die Nase vorn. das mag nach Einschätzung Schellmanns auch mit immer neuen Ideen eines an Zeit und Umfeld angepassten Marketings zusammenhängen. Die haben sich etwas einfallen lassen und alles ausprobiert“, sagt Schellmann. „Gerade hier ist gut zu erkennen, wie stark der Bibeldruck das Erscheinungsbild heutiger Printmedien und die Methoden moderner Medienkommunikation vorweggenommen hat.“

Die ersten Taschenbücher waren eine der Innovationen – schon im 17. Jahrhundert brachten die Lüneburger die handliche Bibel für unterwegs auf den Markt. Und wer bei umstrittenen Karikaturen nur an Charlie Hebdo & Co. denkt, kennt die Lüneburger nicht: „Schon im 17. Jahrhundert war es ein Mittel, durch provozierende Illustrationen Interesse zu wecken.“ Das Motto sei eben gewesen: „Der Stoff soll in jeden Kopf rein, da müssen wir alles ausprobieren, was dabei hilft.“

Bedeutende Illustrationen

Auch an den vier gespendeten Bibeln zeigt sich das. Um besonders Jugendliche anzusprechen, wurden in der Historienbibel von 1684 die vier Evangelien zusammenfasst und im Stil einer Erzählung aufgelegt. Gedruckt wurde sie zwar in Braunschweig, die Illustrationen aber waren Vorlagen aus der Stern’schen Druckerei. „Die wurde damals europaweit vertrieben“, erläutert Schellmann. Kirsten Kurpeik spendete das Exemplar, das aus dem Nachlass ihrer verstorbenen Eltern stammt.

Von der Witwe eines Freundes hat der Lüneburger Pastor Hans-Wilfried Haase zwei Bibeln erhalten, die er nun weitergab: Die Berleburger Bibel von 1726 reiht sich in den Bestand der Bibliothek ein. Die Engenolff-Bibel von 1534 wurde im 18. Jahrhundert neu und wenig fachgerecht gebunden. Bedeutend seien jedoch die Illustrationen von Selbald Beham, einem Maler und Kupferstecher mit bissig-derber Bildsprache, der auch vor Konflikten mit der Obrigkeit nicht zurückscheute.

Aus dem Leben von damals

„Solche besonderen Bibeln gehören traditionell in den Bestand unserer 600 Jahre alten Ratsbücherei und wir freuen uns, sie einer wissenschaftlichen Nutzung zuführen zu können“, sagt Büchereileiter Thomas Lux.

Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch freut sich, dass die Kulturschätze dank der Spender ihren Platz in der Ratsbücherei gefunden haben: „Das ist ein wunderschönes Beispiel für Kulturförderung und zivilgesellschaftliches Engagement in Lüneburg. Diese Ausgaben sind nicht nur ausgesprochen selten, sondern sie erzählen auch Geschichten aus dem Leben der Menschen von damals. Damit geht es heute also auch um ein Stück Lüneburger Stadtgeschichte und Kulturgut.“