Harsche Kritik an der Nato

„Nichts ist gut in Afghanistan“ – elf Jahre ist es her, dass Margot Käßmann das prägende Diktum über Afghanistan sagte. Nun empfindet sie seine Bedeutung als „bitter“. Das Vorgehen der Nato während des Militäreinsatzes nennt sie „arrogant“.

Margot Käßmann
Margot Käßmannepd-bild/Jens Schulze

Hannover. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, hat nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban gefordert, jetzt den Opfern der gescheiterten Afghanistan-Strategie zu helfen. Es sei nicht die Zeit von Schuldzuweisungen, sondern die Zeit, „sich – soweit das möglich ist – um die Opfer zu kümmern“, sagte die Theologin dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die nun vor den Taliban fliehen, nicht zum Wahlkampfthema gemacht werden. Das wäre erbärmlich“, sagte sie.

Käßmann sagte, es brauche auch Trost angesichts der Bilder von Menschen, die sich auf dem Kabuler Flughafen verzweifelt an abfliegende Militärtransporter klammerten. „Wir können nicht viel tun. Aber wir können zumindest denjenigen die Hand reichen, die aus Afghanistan stammen, bei uns leben, und jetzt voller Angst um ihre Angehörigen sind“, sagte sie.

Käßmann verteidigt den Satz aus ihrer Neujahrspredigt

„Nichts ist gut in Afghanistan“ – dieser Satz habe ihr 2010 „Kritik, Spott und Häme“ eingebracht. In diesen Tagen werde der Satz häufig zitiert. „Das ist leider bitter. Nicht für mich, sondern für die geschundenen Menschen in Afghanistan. Sie baden mit Leib und Leben aus, dass sie darauf vertraut haben, geschützt zu werden.“

Käßmann hatte in ihrer Predigt zu einem klaren Friedenszeugnis aufgerufen. Gegen Gewalt und Krieg aufzubegehren, brauche „den Mut, von Alternativen zu reden“ und sich dafür einzusetzen. In Afghanistan würden Waffen „offensichtlich auch keinen Frieden“ schaffen. Für den Frieden und die Bewältigung der Konflikte seien „ganz andere Formen“ nötig.

Sie wiederholte damit ihre Kritik am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, für den sie mehrfach einen geordneten Abzug der deutschen Soldaten sowie zivile Lösungsstrategien für das Land gefordert hatte. Käßmann hatte mit der Predigt eine Debatte über die Rolle der Bundeswehr in dem Kriegseinsatz und auch über die Legitimität kirchlicher Kritik an politischen Entscheidungen ausgelöst.

Deutschland wurde nicht am Hindukusch verteidigt

Die frühere Landesbischöfin der hannoverschen Landeskirche erinnerte daran, wie selbstbewusst Politiker erklärt hätten, was gut für das Land am Hindukusch sei. „Wie kann die Nato glauben, sie könne in ein Land einmarschieren, dessen Kultur und Strukturen sie nicht ansatzweise kennt und versteht, es in absehbarer Zeit zu einer Demokratie westlichen Formats umwandeln und dann wieder abziehen?

Das ist schlicht arrogant“, betonte Käßmann. „Es ist die Zeit, einzugestehen, dass der Afghanistaneinsatz ein Fehler war, auch wenn er durch Nato und Bundestag legitimiert war. Deutschland wurde nicht am Hindukusch verteidigt, das war eine Fehleinschätzung.“ Damit bezog sie sich auf einen Satz des früheren Verteidigungsministers Peter Struck (SPD), der bereits 2002 gesagt hatte, die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt.

Die Theologin warf erneut die Frage nach der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr auf. „Sie liegt auf dem Tisch, finde ich. Schauen wir allein nach Mali“, so Käßmann. Sie hoffe darauf, dass man mit etwas Abstand, endlich darüber nachdenken könne, „wie Fantasie für den Frieden entsteht“. Frieden brauche nicht Waffengewalt, sondern Zeit, Gespräche und zivilen Friedensdienst. „Jetzt ist erst mal Demut angesagt angesichts dieser furchtbaren Lage der Frauen, Männer und Kinder in Afghanistan. Dann aber Kreativität!“, forderte sie. (epd)