Große Orgel für kurze Beine

Eine Kirche in Hamburg birgt eine Rarität: eine „Kinder-Orgel“. Hier können auch Grundschüler am Instrument Platz nehmen – und mit einer besonderen Konstruktion spielen. (Text mit Hörprobe)

Hans (8) spielt Orgel, seine Lehrerin Kerstin Petersen schaut genau hin
Hans (8) spielt Orgel, seine Lehrerin Kerstin Petersen schaut genau hinTimo Teggatz

Hamburg. Zu Hause ist sein Musikgeschmack eine klare Sache. Hans hört in seinem Kinderzimmer momentan am liebsten David Bowie. Doch jetzt hat der Grundschüler noch eine andere musikalische Leidenschaft: Er spielt Orgel. „Das macht viel Spaß“, erzählt er, während er in der Osterkirche in Hamburg an seinem großen Instrument sitzt. Einmal pro Woche bekommt er von der Organistin Kerstin Petersen Unterricht.
Dass der Achtjährige schon spielen kann, hat er seiner Musiklehrerin zu verdanken. Normalerweise sind Kinder in Hans’ Alter noch viel zu klein, um an der Orgel zu musizieren. Mit ihren kurzen Beinen erreichen sie nicht die Pedale, mit denen die tiefsten Töne gespielt werden. Doch dagegen hat Petersen Abhilfe geschaffen: Sie nahm Kontakt zum Orgelbauer Reinalt Klein aus Lübeck auf und konstruierte mit ihm zusammen ein „Kinder-Pedal“. Die Idee dazu hatte sie von der Musikprofessorin Bine Katrine Bryndorf aus Kopenhagen. Das Pedal ist etwa 20 Zentimeter hoch und wird auf das normale Pedal gesetzt. Mithilfe von hölzernen Stäben wird der Fußdruck der Kinder dann übertragen, und die Kleinen können loslegen. So hat die Osterkirche jetzt mit der „Kinder-Orgel“ eine Rarität.

Schüler interessieren sich für Orgel-Technik

Zehn Kinder unterrichtet Kerstin Petersen momentan in Kooperation mit der Kirchengemeinde Ottensen, ihr jüngster Schüler ist gerade einmal fünf Jahre alt und „wild entschlossen, Orgel zu spielen“, so die 47-Jährige. Überhaupt hat sie festgestellt, dass die Königin der Instrumente bei Kindern sehr beliebt ist. Sie übe eine Faszination aus, sagt sie. Junge Schüler würden sich für die Technik interessieren und für die Frage, wie genau denn eigentlich die Töne erzeugt werden. „Die Kinder möchten an der Orgel auf Entdeckungsreise gehen“, sagt die Musiklehrerin.
Damit diese Reise beginnen kann, müssen die Kinder aber erst einmal üben. Zu Beginn lernen sie Noten kennen, dann folgt die Tonleiter, bis Kerstin Petersen zum ersten Mal das Notenblatt eines kompletten Liedes mit zum Unterricht bringt. Dabei stehen Choräle erst einmal nicht im Vordergrund. Petersen achtet darauf, dass die Auswahl kindgerecht ist. Hans spielt heute zum Beispiel ein Stück aus der „Augsburger Puppenkiste“. Der Refrain von „Eine Insel mit zwei Bergen“ hallt immer wieder durch den Raum, bis sowohl Schüler als auch Lehrerin zufrieden nicken (Hier können Sie hören, wie Hans das Lied spielt). Dass ein solches Lied ertönt, findet die Organistin nicht ungewöhnlich. „Die Orgel kommt ja ursprünglich aus dem Zirkus“, sagt sie. Gern dürfen die Kinder auch Wünsche äußern. Manche bringen Lieder mit, die sie im Schulgottesdienst gehört haben. Wer das Stück dann beherrscht, darf es auch schon mal vor den Mitschülern im Gottesdienst spielen.

Turnübungen fürs Feingefühl

Dass die Orgel kein einfaches Instrument ist, zeigt eine Turnmatte, die Petersen neben dem Instrument ausgebreitet hat. Darauf üben die Kinder ihre Koordination. Das Zusammenspiel von Händen und Füßen ist nämlich nicht einfach. „Man braucht viel Feingefühl“, erläutert sie. Zu Hause üben ihre Schüler meist an einem Klavier oder an einer digitalen Orgel. Außerdem können sie jede Woche für eine halbe Stunde vorbeikommen und unter Aufsicht ihrer Eltern spielen.
Entdeckt hat Kerstin Petersen das Instrument während eines Schulgottesdienstes. In die Osterkirche ist 2007 eine evangelische Grundschule eingezogen, und die Schüler kommen im Kirchenraum regelmäßig zusammen. Irgendwann stieß Petersen, deren Kind die Schule besuchte, auf das Instrument, das zuvor etwa zehn Jahr lang nicht gespielt worden war. Sie brachte die Orgel auf Vordermann, und als im Gottesdienst dann die ersten Töne erklangen, war die Überraschung bei den Kindern groß – und bei so manchem künftigen Schüler die Neugier geweckt.