Gott und die Welt auf dem Display

Wie hoch ist die Kirche? Was hat es mit dem Turmbau zu Babel auf sich? Die Hamburger Tabita-Gemeinde schickt Jugendliche per App durchs Viertel. Unser Reporter hat mitgerätselt.

Diakonin Britta Schuirmann vor der Kreuzkirche in Hamburg Ottensen
Diakonin Britta Schuirmann vor der Kreuzkirche in Hamburg OttensenFrank Keil

Hamburg. Wie hoch der Kirchturm ist? Gar nicht so einfach zu schätzen. Ich schaue auf den Turm der Kreuzkirche in Hamburg-­Ottensen, die mächtig auf einer Verkehrsinsel ruht, eingerahmt von zwei- bis vierspurigen Straßen. Die zweiflügelige Tür ist bestimmt vier Meter hoch, dann der Vorbau, das Hauptdach, schließlich der Turm, der sich immer weiter in den Himmel schraubt, und ich sage mit fester Stimme: „Na, bestimmt so 130 Meter!“

Britta Schuirmann nimmt ihr Smartphone, wischt über das Display und schiebt die Anzeige mit dem Zeigefinger hoch, doch kurz vor 90 Metern ist Schluss: Ich liege also ziemlich falsch. 86 Meter sind es genau. Die erste Aufgabe der digitalen Schnitzeljagd „Ein Stück vom Himmel“ habe ich schon mal nicht bestanden. Britta Schuirmann ist Diakonin und zuständig für die Jugendarbeit der Tabita-Gemeinde in Ottensen. Zusammen mit ihr bilde ich für heute Vormittag das Team „Dienstagmorgenhimmelssucher“.

„Fantastische App“

Alles beginnt, wie so vieles, mit Corona: „Die EKD schickte uns Diakonen eine Mail, dass sie hundert Freilizenzen einer App zur Verfügung stellt“, erzählt sie. „Ich habe mich da ein bisschen reingefummelt und gleich gesehen, dass diese App fantastisch ist.“ Denn sie biete die Möglichkeit, Jugendliche via Smartphone oder Tablet auf eine Schnitzeljagd zu schicken, so Schuirmann. Dabei könne man vor allem zu zweit oder zu viert interaktiv tätig werden, könne selbst kleine Videos machen oder Textdateien mit Antworten oder Kommentaren erstellen. Man könne QR-Codes generieren und sich vor allem unter­einander Bilder und Texte schicken, um so kontaktlos in Kontakt zu treten. (Mehr zur App gibt’s hier)

Vor einer mächtigen Eiche geht es um den Turmbau zu Babel
Vor einer mächtigen Eiche geht es um den Turmbau zu BabelFrank Keil

Die Handhabung ist einfach: Man muss die App nur vorher hochgeladen haben, kostenfrei übrigens, unterwegs braucht man kein Internet. Die Daten werden auf einem Server abgespeichert, am Ende können die Jugendlichen entscheiden, ob sie ihre Ergebnisse veröffentlichen wollen oder auch nicht.

Wir gehen weiter, halten kurz am Glaskasten der Gemeinde an, der Werbung für die Schnitzeljagd macht, und gehen nun über einen Plattenweg durch eine kleine Wohnsiedlung, immer dem Pfeil nach, der auf dem Display via GPS-Daten die Richtung anzeigt. Ein elektronisches Signal ertönt, wir sind am nächsten Ziel. Der Song „Ein Stück vom Himmel“ von Herbert Grönemeyer dringt etwas schwach an unsere Ohren. Was nicht an der Soundqualität des Smartphones liegt, sondern am beständigen Lärm der Stadt, der uns plötzlich sehr auffällt.

Vom strengen Gott

Wir schauen in den Himmel und kauen auf den Liedzeilen „Die Erde ist freundlich/ Warum wir eigentlich nicht?“ herum. Stimmt es, dass die Erde, also die Natur per se freundlich ist? Ist das nicht etwas zu einfach gedacht? Und wir kommen ins Reden, tauschen uns aus, erzählen Persönliches, kommen von einem zum anderen, während wir langsam weitergehen.

So kommen wir schließlich nach weiteren Stationen in den Rathenau-Park, gehen quer über die Wiese, folgen dem Display-Pfeil. Der uns zu einem Baumstumpf führt, mürbe Reste einer einst mächtigen Eiche: Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist Thema, die Frage ist zu beantworten, warum Gott eigentlich die Turmbauer mit Verwirrung schlug. Als Strafe? „Besonders die jüngeren Jugendlichen bevorzugen doch oft einen strengen Gott, während die Älteren die Turmgeschichte meist anders interpretieren – etwa, dass es deshalb so viele unterschiedliche Kulturen gibt, die uns bereichern“, sagt Britta Schuirmann.

Unorthodoxe Antworten

Und immer wieder gebe es auch unorthodoxe Antworten – wie bei der nächsten Station, wo wir vor einem schmiedeeisernen Tor beim Altonaer Kinderkrankenhaus stehen und uns folgende Frage gestellt wird: „Was kannst du tun, um jemanden den Himmel nahezubringen?“ Britta Schuir­mann muss grinsen: „Ich war neulich mit einem Jugendlichen auf Schnitzeljagd, der schlug vor, ein Flugticket zu verschenken – ich dachte erst, der wollte mich veralbern.“ Aber es sei ganz ernst gemeint gewesen: einfach jemanden so eine Freude machen. Und wir denken darüber nach und lassen Corona, den Klimawandel und auch die Flugscham kurz hinter uns und erinnern uns, wie das war, wenn man im Flieger saß, entspannt aus dem Fenster schaute, wie man durch die Wolken schwebte und einen weiten, erhabenen Blick auf die Welt hatte.