Gott kennt keine Grenzen

Es gibt keinen Ort, der nicht von göttlicher Gegenwart geprägt ist, schreibt Maria Harder. Sie ist Pastorin in Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern).

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „O welch eine Tiefe des Reichtums! … Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ aus dem Römerbrief 11, 33-36
„Ich möchte so lange Arme haben, dass ich bis in den blauen Himmel greifen kann“, sagte unser damals fünfjähriger Sohn, seine Hände in die Höhe streckend, während wir an der Elbe in Dresden spazierten. Sein großes Staunen, seine tiefe Sehnsucht, die Schönheit mit seinen eigenen Armen greifen zu können, überraschte mich. Während wir Erwachsenen, versunken in tiefen Gesprächen über Sorgen und Nöte unseres Lebens und der Welt, den sonnigen Maitag zwar genossen, aber nur nebenbei wahrnahmen, brachte er als Liebhaber einer „dritten Dimension des Weltalls“ eine andere Sichtweise ins Spiel.
Länge mal Breite mal Höhe – oder Tiefe? Wie kann man einen Raum ermessen, dessen Grenzen ich nicht greifen, erfassen kann? Wie kann ich mich zurechtfinden in einem Leben, dessen Anfang und Ende ich nicht ergründe, in dessen Gesetzmäßigkeiten ich hineingeboren werde und das mich schließlich schmerzlich erkennen lässt, dass ich es so wenig in der Hand habe?
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – manches ahne ich, nehme hier und da Einfluss. Aber kann ich es darum verstehen, einen Sinn in all den Dingen, die uns widerfahren, erkennen?
Dennoch, zuweilen durchfährt es mich, wie damals, als mein Sohn die Sehnsucht in sich verspürte, nach dem Himmel zu greifen: die Gewissheit, dass es eine größere Tiefe in allem gibt, als ich fallen kann, eine dichtere Nähe als all die Fragen, die mir auf den Pelz rücken, eine lichtere Weite als die Freiheit, in die ich mich immer wieder verliere.
Es gibt keinen Ort, der nicht von göttlicher Gegenwart geprägt ist, ich kann nicht einmal fliehen. Er begegnet mir mächtig und zärtlich in der Natur, in meiner Geschichte, in der Kraft, im Schrecken oder dem Trost, der mir ins Herz fällt.
Mein Kopf spricht vom dreieinigen Gott, aber wenn mich diese Gewissheit in seiner Gesamtheit erfasst, überströmt es mich – im Staunen, im Singen, manchmal in Tränen. O welch Tiefe!
Unsere Autorin
Maria Harder
ist Pastorin in Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern).
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.