Gespräch über Gott – wer ihn sucht, erlebt oder nicht braucht
Eine Welt voller Krisen, darin der Mensch mit seinem persönlichen Auf und Ab. “Wo ist Gott heute?” – Dieser Frage stellten sich in Freising ein Kabarettist, eine Wissenschaftlerin, eine Trauerrednerin und ein Bischof.
Unter den Kabarettisten gehört der Münchner Christian Springer zu den wenigen, die nach wie vor nicht aus der Kirche ausgetreten sind. Zwar soll es sogar ein bis drei Kollegen geben, die zuletzt wiedereingetreten sind, aber in der Regel hält die Branche Abstand zur Institution. Der 59-Jährige steht indes zu seinen Wurzeln. Als Kind wurde er katholisch getauft und klassisch im Glauben sozialisiert samt regelmäßigen Ferienaufenthalten bei einer im Kloster lebenden Großtante, wo der Sohn eines Obst- und Gemüsehändlers das Schwimmen lernte.
Darüber plauderte der Künstler am Mittwochabend in Freising. Dorthin hatte das katholische Osteuropahilfswerk Renovabis mit der Domberg-Akademie geladen. Im Rahmen des Internationalen Kongresses Renovabis ging es bei einer Diskussionsrunde um die Frage: “Wo ist Gott heute?” Springer verharrte nicht in nostalgischen Erinnerungen. Auch wenn er sein Geld mit Bühnenauftritten verdient, gilt für ihn als Christ: “Nicht nur reden, sondern anpacken für ein menschliches Leben.” Mit seinem Verein “Orienthelfer”, den er in der Folge des Syrienkriegs gründete, tut er dies seit 2012.
Schnell wollte der Kabarettist, der semitische Sprachen studierte, den Opfern damals helfen. Auf einmal aber passierte es: “Ich musste Gott spielen.” In Feldlazaretten lagen um die 200 Verletzte – Kinder, Frauen, Männer, Alte, Junge – und er mit seinen 10.000 US-Dollar in der Tasche sollte nun entscheiden, wer von ihnen eine Operation bezahlt bekommen sollte, um seinen Arm oder sein Augenlicht zu behalten. “Das ist das Beschissenste, was man als Mensch überhaupt erleben kann.” Das seien Entscheidungen, da gebe es kein Gebet mehr zu einem lieben Gott. “Die musste ich treffen. In solchen Situation ist Gott unfassbar weit weg.”
Anders gefordert ist Michaela Burch aus Landshut. Sie trat aus der evangelischen Kirche aus, wurde Trauer- und Traurednerin. “Der Pfarrer hat die Rituale, ich habe die Menschen”, lautet ihre Überzeugung. An allen möglichen Orten war sie bei Hochzeiten im Einsatz. Die Menschen würden eine Kirche dafür durchaus schätzen, wollten sich aber von einem Pfarrer nicht sagen lassen, wie sie ihre Liebe zu leben hätten. Verzweiflung und Wut der Angehörigen erlebt sie bei Trauerfeiern junger Menschen: Wie könne es Gott zulassen, dass ein 35-Jähriger gehen müsse, während eine 95-jährige Nachbarin mit all ihren Einschränkungen noch immer lebe?
Die meisten Menschen würden sich durchaus als “spirituell” einstufen, sagte Wissenschaftlerin Yasemin El-Menouar, die bei der Bertelsmann-Stiftung das Projekt “Religionsmonitor” leitet. Sie wollten auch keine Gesellschaft ohne Religion, “aber sie gehen auf Distanz zur Kirche”. Doch Religiosität ohne Gemeinschaft funktioniere nicht wirklich. Bei ihren jüngsten Untersuchungen stellten die Forscher fest, dass die Leute in der Pandemie häufiger über den Sinn des Lebens nachgedacht hätten. Wenige hätten aber eine Antwort bei den Religionen gesucht.
Allerdings sei, wer kirchlichen Gemeinden angehörte, besser durch die Corona-Phase gekommen als andere, sagte El-Menouar. Und noch einen Gedanken brachte sie ins Spiel. In den Pfarrgemeinden begegneten sich unterschiedliche Menschen und nicht nur gleichdenkende wie in der Internetblase. Vor Ort entstehe zwischenmenschliches Vertrauen, was wichtig für eine demokratische Gesellschaft sei.
Der Pilsener Bischof Tomas Holub hörte den Schilderungen aufmerksam zu. Er zeigte Verständnis dafür, dass Menschen sich immer häufiger von der Kirche und ihren Seelsorgern nicht verstanden fühlten. “Wer liebt, kennt Gott” hat er sich als Wahlspruch gewählt. Ihm, der auch Jahre als Militärseelsorger gearbeitet hat, nimmt man es ab, dass er auf Menschen zugehen kann. Nicht durch seine Funktion, sondern als vom christlichen Glauben überzeugte Person, will er die Hoffnung weitertragen. Springer jedoch mahnte, für die praktischen Dinge des Lebens gebe die Kirche noch immer zu wenig Antworten, sondern schließe eher aus. Dabei seien gerade junge Menschen auf der Suche.