Gemeinsam durchs Studium

Fast 20 junge Menschen wohnen im Theologischen Studienhaus in Greifswald, teilen eine Küche, ein Wohnzimmer – und die Begeisterung für die großen Fragen des Lebens. Ein Besuch zum Jubiläum.

Für Spiele- oder Filmabende versammeln sich Maren Moos (ganz links), Thomas Hellwig (Mitte) und die anderen gern in der alten Bibliothek des Hauses
Für Spiele- oder Filmabende versammeln sich Maren Moos (ganz links), Thomas Hellwig (Mitte) und die anderen gern in der alten Bibliothek des HausesSybille Marx

Greifswald. Mit Kreide hat es jemand an die Tafel der Gemeinschaftsküche geschrieben: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt EnTe“. Eine augenzwinkernde Anspielung auf Jesu Worte in Matthäus 28, 20, mitten zwischen Herdplatten, Gewürzregalen und zwei Tischen. Küchentheologie statt Küchen­psychologie. Maren Moos lacht. „Für die Nicht-Theologen im Haus ist es vielleicht manchmal nervig, dass es in der Küche so viel Theologen-Talk gibt“, sagt die 28-Jährige. Für sie selbst sei es bereichernd. „Ich finde es cool, dass andere hier die gleichen Fragen haben wie ich. Man kann alles zusammen durchdenken.“

Seit 2017 wohnt Maren Moos, inzwischen Vikarin in St. Jacobi, im Theologischen Studienhaus in der Steinstraße in Greifswald, etwa zehn Fußminuten von der theologischen Fakultät am Rubenowplatz entfernt. 1897 war die Einrichtung gegründet worden, das wird an diesem Sonntag, 26. Juni, gefeiert – mit Gottesdienst, Festessen und mehr (siehe Infoabspann). Offen für alle.

Gegründet zur Blütezeit

„Das Theologische Studienhaus in Greifswald ist neben dem in Bonn das älteste Haus seiner Art in Deutschland“, erklärt der Greifswalder Neutestamentler Christfried Bött­rich, der Leiter des Hauses oder wie man hier sagt: „Ephorus“. „Als das Haus gegründet wurde, erlebte die Theologische Fakultät gerade eine Blütezeit und zog Studierende aus ganz Deutschland an“, erzählt Bött­rich. „Mit dem Studienhaus wollte man dafür sorgen, dass diese jungen Leute – damals alles Männer – behütet sind. Es gab ja damals viele Verbindungen: schlagende, saufende …“ Er schmunzelt. „Da war dieses Haus ein Gegenprogramm.“


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Im Laufe der Zeit hat sich manches geändert. Heute wohnen auch Frauen im Haus, und es ist längst nicht mehr erklärtes Ziel, die Studierenden vor einem ausschweifenden Leben zu bewahren. Vielmehr gehe es der tragenden Stiftung des Pommerschen Kirchenkreises darum, Gemeinschaft und den intellektuellen Austausch zu fördern, zwischen jungen Theologen, aber auch Nicht-Theologen, wie Böttrich sagt. Ein Inspektor organisiert die Aufgaben vor Ort, bietet Seelsorge und Studienbegleitung an: derzeit Lennart Thomas, der an der Theologischen Fakultät promoviert hat.

Etwa die Hälfte der fast 20 Zimmer ist in diesem Semester von angehenden Pastorinnen und Pastoren belegt, die andere Hälfte von angehenden Juristen, Biologen, Medizinern, Psychologen und anderen. Allein die Wohnsituation verlangt die Auseinandersetzung miteinander, das Austarieren von Interessen: 18 Einzel- und ein Doppelzimmer verteilen sich auf drei Etagen, eine Gemeinschaftsküche mit sechs Platten liegt im ersten Stock, zwei kleine Teeküchen, eine alte Bibliothek und ein schattiges Gartenstückchen gehören zum Haus – und dürfen von allen genutzt, müssen aber auch von allen gepflegt werden. Hausabende zum Abstimmen, rotierende Aufgaben und Putzpläne helfen – mal besser, mal schlechter, wie Maren Moos grinsend erklärt. „Letztes Jahr lief es schlecht, deswegen haben wir den Posten des Mahners eingeführt.“

Gespräche über Glaubensfragen

Matthias Hellwig, ein 29-jähriger Theologiestudent aus Neustadt in Schleswig-Holstein, wohnt seit fast drei Jahren im Haus – während manch andere nur ein oder zwei Semester bleiben. Aus Marburg kennt er eine vergleichbare Einrichtung, in Kiel hat er eine normale WG erlebt. „Ich finde so ein Studienhaus perfekt, um die Zeit als angehender Pastor intensiv zu erleben,“ sagt er.

Denn es sind ja nicht nur Sprüche wie der mit der Ente in der Küche. Es ist das gemeinsame Leben, es sind die Gespräche, die man hier führen, die Andachten, die man hier feiern kann, derzeit an zwei Tagen in der Woche. Die Teilnehmenden beten und singen zusammen. „Und man spricht im Haus über die persönlichen Glaubensfragen, die man im Seminar an der Uni so nicht besprechen kann“, sagt Hellwig. Vor allem das mache es so intensiv.

Von konservativ bis liberal alles vertreten

Nicht, dass bei den Glaubensthemen alle einer Meinung wären. „Von konservativ bis liberal ist hier alles vertreten“, sagt Maren Moos. „Wir unterscheiden uns bei ganz grundsätzlichen Fragen: Woher weiß ich, dass es Gott gibt? Wer ist Jesus Christus für mich? Welche Bedeutung hat die Bibel?“ Sie selbst hat im Laufe des Studiums von einer konservativen zu einer liberalen Haltung gefunden: „Die Gespräche im Haus waren dafür wichtiger als die Seminare an der Uni“, sagt sie. „Ich war sehr herausgefordert, mich zu hinterfragen.“ Matthias Hellwig ist inmitten aller Debatten einen anderen Weg gegangen: Er bezeichnet sich bis heute als konservativ.

Ein positiver Corona-Effekt

Und beide sind sich einig: Die Corona-Maßnahmen haben die Gemeinschaft im Haus, zu der auch legendäre Feste wie das Hornfischgrillen gehören, nochmal vertieft. „Wir galten als ein Haushalt“, erklärt Hellwig. Während kaum eine Veranstaltung nach draußen lockte, fand im Haus umso mehr statt: Spiele-, Film- und Gesprächsabende, tägliches Nachrichtengucken in Gemeinschaft. Sogar die Sonntagsgottesdienste feierten einige Bewohnerinnen und Bewohner zusammen. „Wir sind in der Zeit richtig zusammengewachsen“, erzählt Maren Moos.

Zum Semesterende wollen allerdings sieben Mitwohnende ausziehen, voraussichtlich sieben neue dazukommen. „Dann ändert sich die Dynamik wieder.“ Aber das sei das Gute an einem Haus mit fast 20 Leuten: „Man findet immer welche, mit denen man sich gut versteht.“

Info
Am Sonntag, 26. Juni, beginnt das Fest um 10 Uhr mit einem Gottesdienst im Dom. Um 11:30 Uhr geht es mit Essen im Studienhaus weiter. Um 13 Uhr folgen ein Vortrag und buntes Programm, um 15 Uhr Ausklang mit Kaffee. Gäste sind willkommen.