Es ist ein dynamisches Gemeinschaftswerk: Was heute steht, kann morgen schon ganz anders aussehen, denn die Kinder bringen immer neue Ideen ein. Ihr Hüttendorf, das sie auf der Wiese des Kinder- und Jugendbauernhofs in Kassel bauen, ist bunt bemalt, hat eine Zugbrücke und Hütten, die sie als Pizzastand, Drogerie, Dönerladen oder Snoezle-Ecke gestalten. „Es wird nie fertig sein, sondern ist ständig im Wandel“, erklärt Catarina von Schwerin vom Vorstand des gemeinnützigen Trägereins Kinderbauernhof Kassel.
Das auf zwei Ebenen errichtete Dorf, in dem alle Räume miteinander verbunden sind, wirkt zunächst wie ein Handwerksprojekt – tatsächlich ist es ein Demokratieprojekt. Denn die Kinder entscheiden im Austausch miteinander, was gebaut oder abgerissen wird. Beim Bauen lernen sie, sich abzusprechen, Konflikte zu lösen, Kompromisse zu schließen und zu gemeinsamen Entscheidungen kommen.
„Sie lernen, demokratische Prozesse kennen und verstehen und erleben auch, wie es ist, in der Opposition zu sein und sich argumentativ für eigene Anliegen einzusetzen“, erklärt von Schwerin. Und in ihrem Handeln seien sie auch Vorbilder füreinander.
Mit dem Projekt „Selbstbestimmt im Hüttendorf – Demokratie auf dem Bau“ will das Team des Kinder- und Jugendbauernhofs zeigen, dass Demokratie für Kinder auf einfache, alltagsnahe und spielerische Weise erfahrbar wird. Zielgruppe sind Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren.
Der Kinder- und Jugendbauernhof liegt auf den alten Bleichwiesen am Fuldaufer im Kasseler Stadtteil Wesertor. Auf rund 4.500 Quadratmetern mit Streuobstwiese und Gemüsegarten leben Schafe, Schweine, Kaninchen, Hühner und Honigbienen. Der Hof ist nach Angaben des Trägervereins ein Erfahrungsraum für Kinder und Jugendliche: Sie helfen bei der Versorgung der Tiere, gestalten das Gelände mit und erleben, dass ihre Meinung zählt.
Der Bauernhof versteht sich laut von Schwerin als partizipativer Lernort, an dem sie Verantwortung übernehmen und mitbestimmen – etwa, welchen Namen ein neues Tier bekommen soll. In großen Lettern prangt das Motto auch über dem Eingang des Hüttendorfs: „Ich bestimme mit“.
Die Idee für das Projekt entstand vor zwei Jahren beim Abriss eines alten Holzturms aus Paletten auf dem Gelände. „Die Möglichkeiten der Partizipation wollten wir intensivieren und nachhaltig verankern. Und wo geht das besser als beim Bauen?“, sagt von Schwerin. „Da muss man sich absprechen.“
Die Kinder sind stolz auf das, was sie erschaffen haben, und zeigen ihre Arbeit gern, wie von Schwerin schildert – und erfahren dabei Wertschätzung. „Sie spüren Selbstwirksamkeit: Ich kann etwas, ich bin mündig“, sagt sie. Das stärke ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstwertgefühl.
Die teilnehmenden Kinder kommen aus dem Stadtteil Wesertor und der Umgebung und bringen vielfältige familiäre, sprachliche und kulturelle Hintergründe mit. Viele von ihnen wachsen unter herausfordernden sozialen Bedingungen auf, lernen Deutsch als Zweitsprache oder haben einen besonderen Förderbedarf
„Unsere Haltung ist: Alle sind willkommen, und jeder kann im Rahmen seiner Möglichkeiten mitmachen“, betont von Schwerin. Werte wie Gleichberechtigung, Vielfalt und Meinungsfreiheit würden aktiv gefördert. Ausgrenzung, Beleidigungen, Beschimpfungen oder Rassismus hätten keinen Platz.
Der Kinder- und Jugendbauernhof besteht seit fast 20 Jahren. Der 2005 gegründete Trägerverein Kinderbauernhof Kassel e.V. finanziert seine Projekte durch Mitgliedsbeiträge Fördermittel und Spenden. Ziel des pädagogisch betreuten Angebots ist es laut Verein, Umweltbewusstsein, soziale Integration, demokratisches Denken und grundlegende Kompetenzen zu fördern – und so die Bildungs- und Gesundheitschancen nachhaltig zu stärken.