„Geht auf die Trauernden zu!“

Wenn ein Familienmitglied stirbt, bringt das nicht nur die Seele, sondern oftmals auch die weihnacht­lichen Rituale durcheinander. Das rät Trauerseelsorgerin Mareike Hansen.

Kerzen im Schnee auf einem Friedhof
Kerzen im Schnee auf einem FriedhofStefan Arend / epd

Lübeck. Menschen reisen weit, um die Weihnachtstage mit der Familie zu verbringen. Doch während sich die einen voll gepackt mit Geschenken und Vorfreude auf den Weg machen, sind diese Tage für trauernde Menschen besonders schwer. Schmerzliche Erinnerungen werden geweckt. „Weihnachten ist nach wie vor die Zeit der Familie“, sagt Mareike Hansen. „Wenn da auf einmal ein Platz leer bleibt, fällt das besonders auf.“ Es wird bewusst, was sich im Alltag schon mal verdrängen lässt – unabhängig davon, wie viel Zeit seit dem Tod schon vergangen ist. Seit August ist die 40-jährige Theologin zuständig für die Trauer- und Hospizseelsorge im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg.

Ob nun der Partner, die Groß­eltern, die eigene Mutter oder ein Freund – die Tage sind nicht leicht. Besonders für verwaiste Eltern, die ihre Kinder vor oder bei der Geburt, durch Krankheit, Unfall oder Suizid verloren haben, ist diese Zeit schwer. Denn Weihnachten ist nicht nur das Fest der Familie, sondern es wird auch die Geburt und damit der Beginn von etwas Neuem gefeiert.

„Weihnachten ist doppelt hart“

„Das Thema ist Geburt und Leben. Da kommt etwas Neues. Mit dem Tod eines Kindes zerbricht die Welt aber vielmehr. Weihnachten ist das doppelt hart“, so Hansen. Nichts steht dem mehr entgegen als die heile, glitzernde Weihnachtswelt, die so gern inszeniert und beworben wird. „Trauernde sind unheimlich sensibel, fast schon durchlässig für ihre Umwelt. Häufig halten sie banales Gerede oder den Weihnachtskitsch gar nicht aus.“

Pastorin Mareike Hansen
Pastorin Mareike HansenKirchenkreis Lübeck/Lauenburg

Und wie alle Gedenktage im ersten Jahresverlauf nach dem Tod, hat auch das Weihnachtsfest eine besondere Schwere. Mit dieser Situation wird in den Familien ganz unterschiedlich umgegangen. „So unterschiedlich die Beziehungen sind, so unterschiedlich ist auch die Trauer. Während für den einen Plätzchengeruch unerträglich wird und die verwaiste Familie die gewohnten Rituale durchbricht und zu Weihnachten zum Schnorcheln nach Ägypten fliegt, halten andere genau an diesen Traditionen fest“, erklärt die Seelsorgerin. Schwierig sei es, wenn innerhalb der Familie oder des Eltern­paares unterschiedliche Bedürfnisse bestehen.

Der Gang zum Grab oder das Auftischen des liebsten Weihnachts­essens des Verstorbenen – all das kann helfen. Muss es aber nicht. Und wie sollten Menschen, die im nahen Umfeld Trauernde haben, mit diesen Umgehen? Mit dem Weihnachts­braten an deren Tür stehen? Oder warten, bis die Trauernden sagen, was sie brauchen? „Geht auf Trauernde zu und sagt, dass ihr unsicher seid“, rät Hansen. Immer wieder merkt sie, wie groß die Hemmungen im Umfeld von Trauernden sind. „Trauernde haben oft gar nicht die Kraft das einzufordern, was sie eigentlich brauchen.“

Eine Zumutung!

Da sei oft ein Angebot à la „Meld’ dich, wenn ich etwas tun kann“ schon eine Zumutung. Ebenso der Rat, doch loszulassen. „Darum geht es beim Trauern gar nicht, sondern es geht viel mehr darum, den geliebten Menschen und die Beziehung, die man zu ihm hatte, in das Leben einzubauen.“ Auch zu Weihnachten. Trauer sei wie ein Marathon, den es jeden Tag aufs Neue zu laufen gelte. Und an den Weihnachtstagen ist die Etappe besonders schwer.