Gegen die Schubladen im Kopf

Chinesen essen immer nur Reis, und Russen trinken nur Wodka: Vorurteile über andere Länder halten sich hartnäckig. Bei einem Jugendcamp zum Reformationsjubiläum räumen Jugendliche aus fünf Nationen jetzt gründlich damit auf.

Gemeinsam bauen Mara aus Lüneburg und Alex aus Taiwan in der Holzwerkstatt eine Bank
Gemeinsam bauen Mara aus Lüneburg und Alex aus Taiwan in der Holzwerkstatt eine BankJens Schulze / epd

Hannover/Wittenberg. Im Containerdorf regnet es in Strömen. Pfützen machen sich auf den Schotterwegen breit. Die Sonne versteckt sich im dunkelgrauen Himmel. "Es ist sehr kalt in Deutschland", findet die Chinesin Hanna (21) aus Taiwan und zieht die Ärmel ihres Pullovers über ihre Hände. Kein Wunder, denn während Hannover gerade im Regen versinkt, steigen in ihrer Heimatstadt Pingdon die Temperaturen auf tropische 32 Grad. Ginge es nach der Chinesin, dürfte sie bei den Deutschen eigentlich nur auf kühle Gesichter treffen, denn schlechtes Wetter soll ihnen angeblich den ganzen Tag verhageln.
"Sie sind eben fröhlich, wenn die Sonne scheint", erklärt Hanna etwas verlegen. "Das waren zumindest meine Vorstellungen, bevor ich nach Hannover reiste." Bei einer Internationalen Jugendbegegnung der hannoverschen Landeskirche und des Evangelisch-lutherischen Missionswerks in Niedersachsen haben sich ihre Vorstellungen über Deutsche jetzt gründlich verändert – nicht zuletzt durch die fröhliche Mara (19) aus Lüneburg, die auch bei Regen immer ein Lächeln bereit hat.

Klischees halten sich hartnäckig

15 Jugendliche aus fünf Nationen und drei Kontinenten wollen beim Projekt "Living Utopia – Gemeinschaft bildet!" anlässlich des Reformationsjubiläums noch bis zum Sonnabend den eigenen Vorurteilen über andere Länder nachspüren. Dafür sind sie aus Taiwan, Russland, Südafrika, Deutschland und Indien für zwei Wochen nach Hannover und Wittenberg gekommen.
"Wir wollen aufräumen mit dem Schubladendenken und herausfinden: Was unterscheidet euch tatsächlich? Und was verbindet euch?", sagt Projektleiterin Franziska Horn vom evangelischen Landesjugendpfarramt. Denn Vorurteile und Stereotypen über Nationen gibt es jede Menge: Chinesen essen immer Reis. Inder lieben nur Bollywood-Filme. Russen trinken den ganzen Tag Wodka im klirrend kalten Putin-Reich. Die Klischees halten sich hartnäckig, und weltweit brodelt es ihretwegen oft gefährlich.
Mit ihrer Meinung über die angeblich so humorlosen Deutschen stand die Chinesin Hanna anfangs nicht allein da. Denn auch für den mitgereisten Ming-Han (21), für Levatho (18) aus Südafrika und Jana (20) aus Russland war klar: Deutsche sind Bekanntschaften mit geringem Spaßfaktor. "Dazu bleiben sie akribisch an roten Ampeln stehen – selbst wenn zwei Kilometer weit kein Auto zu sehen ist", sagt Levatho ungläubig.

Gemeinsamer Glaube verbindet

Beim gemeinsamen Leben, Arbeiten und Diskutieren haben sich die Jugendlichen inzwischen näher kennengelernt. In einer Holzwerkstatt zimmern sie Bänke, Hammer und Bohrer wechseln von Hand zu Hand. Englische Wortfetzen schwirren durch die Luft – die Sprache, die alle Nationen zusammenhält. Und alle sind überrascht, wie wenig ihre mitgebrachten Bilder mit der Wirklichkeit übereinstimmen. "Die Chinesen lieben deutschen Käse und haben einen wunderbaren Humor", wundert sich Mara. "Die Deutschen sind ja total herzlich", staunt die Russin Jana.
Auch der gemeinsame Glaube kann quer über Nationen und Kontinente verbinden. Denn Russen gehören nicht automatisch der orthodoxen Kirche an, Chinesen sind nicht alle konfessionslos, Inder nicht alle Hindus, hat Mara gelernt. Hier im Projekt kommen alle aus protestantischen Kirchen.
"Das Zusammenleben lässt die Vorurteile schnell fallen und zeigt den Jugendlichen, wie ähnlich sie sich sind", freut sich Leiterin Franziska Horn. Gemeinsame Picknicks, Minigolf spielen und eine Woche auf Martin Luthers Spuren beim Internationalen Jugendcamp in Wittenberg werden die neuen Freundschaften mit etwas Glück auch nach der Jugendbegegnung erhalten.
Und, ginge es nach der Südafrikanerin Levatho, die Welt auch etwas besser machen: "Ich glaube, unsere Generation hat verstanden, dass unsere Gedanken der Grundstein für Veränderungen sind", sagt sie. "Es muss nur klar sein: Will man etwas Gutes erreichen, gehört dazu auch der Respekt gegenüber anderen." (epd)