Ganz anders

Über das Psalmlied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“ schreibt Pastor Tilmann Baier. Er ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

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Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Das Volk aber … schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“ aus Matthäus 21, 1–11

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ So werden wir es wieder am Sonntag singen. Schon als Kind war dieses Psalmlied für mich ein Signal, dass die graue Zeit des Novembers vorbei war. Obwohl die Dunkelheit auch im Dezember noch zunahm, so barg sie doch nun Vorfreude und Geheimnisse, war gefüllt mit Festvorbereitungen.

Auch jenseits kindlicher Vorfreude auf Weihnachten ist dieses Lied voller Erwartungen: Da kommt „ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich“. „All uns‘re Not zum End er bringt.“ Von solchem Herrscher träumten Menschen schon im alten Israel. Und immer wieder gibt es seitdem Mächtige, die diesen Traum für sich ausnutzen, sich zum Messias erklären lassen, ob nun antike Kaiser oder heutige Präsidenten.

Auch vor 2000 Jahren hofften viele Menschen in Palästina auf einen solchen Herrscher, der sie von dem Joch der römischen Besatzer und ihrer einheimischen Helfer befreien würde. Und so begrüßen sie den Wanderprediger und Wundertäter Jesus aus Nazareth wie einen König, als er mit seinem kleinen Gefolge nach Jerusalem kommt. Sie reißen sich die Kleider vom Leib und legen sie vor ihm auf die staubige Straße. „Hosianna“ rufen sie, „gelobt sei, der kommt im Namen des Herrn.“

Doch dieser Jesus wird sie enttäuschen. So sehr, dass sie nur wenige Tage später schreien werden: „Kreuzigt ihn!“ Er stellt sich nicht an die Spitze der Bewegung, zieht nicht zu Felde gegen die Fremden. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, wird er sagen und den für ihn tödlichen Weg der Liebe nach Golgatha gehen.
Davon schweigt unser Lied. Doch wir, die es singen, wissen: Auch das Fest, auf das es einstimmen will, beginnt mit einer Enttäuschung: Ein Kind, das in einem Stall geboren wird, kann nicht der erhoffte königliche Retter der Welt sein. Oder gerade doch?

Krippe und Kreuz können uns die Augen dafür öffnen, dass Gott oft so ganz anders in dieser Welt wirkt, als wir es uns erträumen. Und doch bereitet er noch in der größten Dunkelheit das große Fest des Lebens vor.

Unser Autor
Tilman Baier
ist Chefredakteur der Evangelischen Zeitung und der Kirchenzeitung MV.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.