Als Iolanda Nerlich 2017 mit ihrer kleinen Tochter aus Rumänien nach Osnabrück kam, fühlte sie sich oft einsam und verloren. „Ich konnte kein Deutsch, hatte keine Freundinnen, keinen Kontakt zu anderen Rumänen“, erzählt die 48-Jährige, die mittlerweile hauptberuflich als Joblotsin für Menschen aus ihrer Heimat tätig ist. Da kam ihr der Hinweis auf eine Weiterbildung zur Kulturmittlerin gerade recht.
Sie habe sich sofort bei dem von der Evangelischen Kirche initiierten „Lernhaus der Frauen“ angemeldet, berichtet Nerlich: „Ich erinnere mich, wie schwer das Ankommen für mich war. Heute kann ich anderen Migrantinnen helfen, in Deutschland besser und schneller Fuß zu fassen.“
Menschen mit Migrationshintergrund wie Iolanda Nerlich könnten als ehrenamtliche Mentorinnen oder Kulturmittler einen großen Beitrag zur Integration von Neuankömmlingen leisten, sagt der Migrationsforscher Jens Schneider von der Universität Osnabrück. Allein die Sprache sei ein wichtiger Faktor. Allerdings würden sie noch zu selten für solche Aufgaben angefragt. „Gerade auf die Migranten der zweiten Generation schaut man noch zu wenig.“
Integrations- und Verständigungsprojekte werden auch nach dem Abebben der 2015 ausgerufenen Willkommenskultur in vielen Kommunen immer wieder ins Leben gerufen, weiß der Ethnologe vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien. Oft mangele es aber an professionellen Strukturen zur Verstetigung und Ausweitung. „Die Ehrenamtlichen müssen professionell geschult, koordiniert und begleitet werden. Sonst versanden solche Initiativen.“
Das „Lernhaus der Frauen“ soll dieses Schicksal nicht treffen. Die einjährige Ausbildung bringt Frauen verschiedener Nationalitäten, Kulturen und Religionen in einen Austausch, erläutert Christian Bode von der Evangelischen Erwachsenenbildung (EEB) der Landeskirche Hannovers. Sie setzten sich bewusst mit Vielfalt und Diversität auseinander, ergänzt Rita Steinbreder von den Evangelischen Frauen*.
Die Absolventinnen können sich etwa als Brückenbauer in Vereinen, Kirchengemeinden oder städtischen Einrichtungen engagieren. Dazu sind die kirchlichen Einrichtungen bereits mit der Stadt und dem Flüchtlingshilfeverein Exil im Gespräch. EEB und Evangelische Frauen* wollen eine Art Dating-Plattform zur Vermittlung einrichten. Neben dem evangelischen Regionalbischof Friedrich Selter hat auch Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) die Schirmherrschaft übernommen.
Die städtische Diversitätsbeauftragte Samira El-Filali hat schon eine Vorstellungen, wo die Kulturmittlerinnen sich in Abstimmung mit den städtischen Integrationslotsen ehrenamtlich einbringen könnten. Dolmetscherdienste seien immer gefragt, der Bedarf an Sprachkursen sei ebenfalls groß. In den Stadtteilzentren wären Begegnungsangebote möglich, sagt El-Filali. „Bei vielen Zuwanderern ist Einsamkeit ein großes Thema.“
Die Lernhäuser werden unter anderem von den Evangelischen Stiftungen Osnabrück und der Hanns-Lilje-Stiftung in Hannover finanziert. Gerade ist das erste „Lernhaus für Männer“ gestartet. Ende 2027 läuft das gesamte Projekt aus. Die bis dahin entstandenen Netzwerke und die Dating-Plattform sollen aber weiter gepflegt werden, sagt Christian Bode.
Die kulturelle und religiöse Vielfalt sei eine Stärke jeder Gesellschaft, unterstreicht Regionalbischof Selter. „Dennoch erleben wir derzeit Abgrenzung, Misstrauen und wachsenden Rassismus. Das ist gefährlich.“ Kulturmittlerinnen wüssten aus eigener Erfahrung, wie bereichernd Begegnungen sein können: „Ihr Einsatz ist konkrete Friedensarbeit im Kleinen.“
Auch Selter mahnt Kontinuität an. „Schulungen in interkultureller Kommunikation, Rassismuskritik und Konfliktlösung sind keine Kür, sondern Pflicht.“ Das gelte für die Kirchen, aber ebenso für Kommunen, Vereine und Schulen: „Je mehr Menschen geschult werden, desto weniger Raum haben Vorurteile und Hass.“
Für Iolanda Nerlich ist klar, dass sie ihre neu erworbenen Kompetenzen in ihr privates Umfeld, aber auch darüber hinaus einbringen will. Sie habe in dem Kurs Ehefrauen, Mütter und berufstätige Frauen aus dem Iran, Irak, Italien, Kirgisien und Afghanistan, Christinnen und Musliminnen kennengelernt. „Wir haben festgestellt, dass wir bei aller Verschiedenheit die gleichen Werte teilen. Menschlichkeit hängt nicht an der Herkunft.“