Friede und Recht

Über ein Ruhmesblatt der Hoffnung schreibt Matthias Jehsert. Er ist Pastor der Gemeinde Retzin in Brandenburg.

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Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Wir rühmen uns der Hoffnung. Wir rühmen uns der Bedrängnis“ Römer 5,2-3

Bei uns gab es die Kaufhalle „8. März“. Sie war in Stralsund die erste ihrer Art und galt als Vorreiterin im Nordosten. Der Name zeigt eine eigentümliche Kulturgeschichte an. Stand er Ende der 60er für das moderne Leben der Frau im Neubaugebiet, für bequemes Besorgen und zeitgemäßes Haushalten? Vertiefte er die sozialistische Symbolik in ihrem Fortschrittsglauben und ihrem Menschenbild? Drehte er der Systemkonkurrenz westlicher Supermärkte eine Nase, indem er „Frauenrechte“ und „Einkaufen“ kunstvoll verknüpfte? Der 8. März ist in vielen Ländern Feiertag, aber der bürger­liche Feminismus kann nichts damit anfangen. Ein eigentümlicher Tag, an dem die unbekannten Frauen mit ihrem Sektglas bei den berühmten stehen, mitten zwischen Kleopatra und Greta.

Ähnlich eigentümlich, wer im Römerbrief bei der berühmten christlichen Hoffnung steht: Es ist die Bedrängnis. Christen und Frauen erfahren Unterdrückung, Entwürdigung, Verachtung. Männern und Muslimen begegnen Unverständnis, Ausgrenzung und Verfolgung. Menschen werden einsortiert, abgestempelt, verurteilt. Manchmal heißt es gar: „Schämt euch, ihr Opfer!“ Jesus leidet und stirbt.

Jeder Sonntag ist ein Ruhmesblatt der Hoffnung. Jeder Anschlag auf Leben und Würde, jedes Gedenken an Mord und Barbarei wird ihr zum Kampf- und Feiertag. Aber die Bedrängnis? Sie gehört überwunden, nicht gerühmt. Oder? In Europa herrscht Streit um Stätten und Denkmäler der Bedrängnis. Wie schämt man sich richtig – und wen rühmt man zu Recht? Reicht es nicht, der Bedrängten zu gedenken, ihrer Geschichten und Namen?

Nein! Die Bedrängten selbst rühmen sich der Bedrängnis. Friede und Recht erwachsen nicht aus Schwarz-Weiß-Rollen oder aus Tabus. Versöhnung erwächst aus Teilnahme. Ein eigentümlicher Seitenwechsel wendet Feindschaften, und er vollzieht sich in der Bedrängnis.

Darum schämt euch ihrer nicht! Holt sie in den Ruhmessaal; und gesellt sie mit vollem Kelch zu ihrer Enkelin, der Hoffnung.

Unser Autor
Matthias Jehsert ist Pastor in der Gemeinde Retzin (Brandenburg).

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.