Deutschland hat genug Einfamilienhäuser, sagt ein Forscher. Er sieht darin ein Problem für Geschlechtergerechtigkeit, Klima und Gesellschaft. Welche neuen Ideen er für Wohngebiete hat.
Deutschland braucht keine neuen Einfamilienhäuser mehr – davon ist Architekturexperte Jan Engelke überzeugt. 83 Prozent aller Wohngebäude in Deutschland seien solche Häuser, sagte Engelke in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview des “Fränkischen Tags”. “Da wäre genug Platz, damit alle dort leben könnten, die sich das Wohnen im Einfamilienhaus wünschen: Im Schnitt leben aber nur 1,8 Personen in jedem Eigenheim. Trotzdem wurden in den letzten 20 Jahren jährlich etwa 100.000 neue gebaut.”
Das habe auch etwas mit Klimawandel, Rollenbildern und Generationengerechtigkeit zu tun, führte Engelke aus, der an der Technischen Universität München forscht und lehrt. “Wo Einfamilienhäuser stehen, ist oft keine Nutzung außer Wohnen zulässig. Will ich zur Arbeit, zum Einkaufen, zur Ärztin, Hobbys nachgehen oder jemanden besuchen, muss ich mit dem Auto fahren.” Da vor allem Frauen in den Familien oft Sorgearbeit leisteten, würden sie hier benachteiligt. “Die Form der Stadt schreibt tradierte Geschlechterrollen in der Gegenwart fort.”
Engelke forderte eine diversere Nutzung von Wohngebieten. “Stellen wir uns vor, es gäbe dort eine Mensa, wo man gemeinsam essen könnte, wenn man nicht geschafft hat, etwas zu kochen. Oder dass ein Arbeitsplatz in der Nähe ist, wo ich mit anderen zusammen im Homeoffice arbeiten könnte.” Auch kulturelle Angebote oder Pflegedienste in den Wohngebieten wären seiner Ansicht nach wichtig. “Wir könnten die erzwungene Automobilität vermeiden, die diese Form der Stadtplanung zur Folge hat.”
Einfamilienhäuser passten gut in die Phase, in denen ganze Familien dort lebten, so der Experte. “Dann stimmt das Verhältnis von Personen zur Fläche – und Versprechungen werden eingelöst: direkter Zugang zum Garten, Raum für Selbstverwirklichung, Platz für Kinder.” Im Alter müsse man sich aber um das Haus kümmern, Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung und ähnliche Dinge fehlten dann in der unmittelbaren Umgebung. “Wir täten gut daran, Einfamilienhäuser als sehr gute Wohnform für eine bestimmte Zeit zu begreifen. Und für andere Zeiten gibt es Wohnformen, die besser passen und etwa barrierefrei sind.”