Findelkind Thorsten S.: „Ich kenne es nicht anders“

Hannover. Er wurde im Krieg geboren und überlebte einen Flugzeugabsturz. Als Thorsten S. (Name geändert) im Alter von etwa neun Monaten nach Deutschland kam, hatte er schon einiges ausgestanden. Der heute in Hannover lebende Krankenpfleger wurde als Baby in den Wirren des Vietnam-Krieges abgegeben und 1975 von einem Pastor und seiner Frau in Deutschland adoptiert.

Selbst in grausamen Kriegszeiten muss es ein besonders schreckliches Ereignis gewesen sein: Im April 1975 stürzte ein US-amerikanisches Transportflugzeug vollbesetzt mit mehr als 300 evakuierten Kindern und Krankenschwestern bei Saigon ab. In der Luft war die Ladeluke abgerissen, die Maschine ging in einem Reisfeld nieder. 155 Insassen starben. Der damals neun Monate alte Thorsten S. hatte Glück. Er saß im oberen Deck und überlebte.
Seine neuen Eltern warteten da bereits in Deutschland auf ihn. Über das Kinderhilfswerk Terre des hommes hatten ihn ein Pastor und dessen Frau aus der Nähe von Osnabrück adoptiert. „Die Briefwechsel, die ganzen Papiere – das war ein riesiger Aufwand damals“, erzählt Thorsten heute.
Seine ersten Lebensmonate hatte er in einem Kinderheim im südvietnamesischen Cantho verbracht. Wie er dorthin kam, ist unklar. Seinen ursprünglichen Namen und sein Geburtsdatum kennt Thorsten nicht. Der Geburtstag im Juli ist nur geschätzt. Seine Adoptiveltern gaben ihm einen deutschen Vornamen. Aber im Ausweis steht dahinter auch der vietnamesische Name, den er im Heim erhielt.

Deutschland ist seine Heimat

Wenige Tage nach dem Absturz wurde der Junge dann doch noch ausgeflogen. Unterernährt und mit Lungenentzündung kam er in Erlangen an. Dort wurde er wieder aufgepäppelt und kam in seine neue Familie. „Meine Adoptiveltern sind für mich meine Mama und mein Papa“, unterstreicht der 41-Jährige heute. „Sie haben immer für mich gesorgt.“ Er wuchs in der Wedemark mit drei Schwestern auf, auch sein Freundeskreis war deutsch.
Als junger Mann reiste Thorsten 1991 wieder nach Vietnam. „Es war schon sehr eindrücklich, vor dem Heim zu stehen“, erzählt der Krankenpfleger. Gerne hätte er auch seine leiblichen Eltern getroffen. Doch bei den Behörden dort lagen keine Informationen über den Fall aus Kriegszeiten vor.
Es war eine Reise durch eine „fremde Welt“, sagt Thorsten. Besonders in Erinnerung hat er die Begegnungen mit Vietnamesen. „Es war komisch, die Leute sprachen mich an, aber ich konnte ihre Sprache nicht.“ Thorsten fühlt sich als Deutscher. „Ich kenne es nicht anders. Identitätskonflikte habe ich nicht.“ Mit seiner Frau und seinen Kindern will er später aber auch mal nach Vietnam reisen.
Dass nicht jedes Findelkind so unbeschwert mit seiner unklaren Herkunft umgeht, erlebte Thorsten in der eigenen Familie. Seine Eltern adoptierten auch ein kleines Mädchen aus Indien, das dort auf einer Treppe ausgesetzt worden war. „Meine Schwester hat das Thema eher abgeblockt. Sie wollte lange nicht nach Indien.“ Doch auch sie machte später ihre Reise und kam mit der gleichen Schlussfolgerung zurück wie Thorsten. „Meine Heimat ist hier.“